LOCCUM • EHEM. ZISTERZIENSERKLOSTER
315
den und der nahezu verlorenen Gesichtsmodellierung bleiben
Wisch-, Stupf- und Radiertechniken im Halbtonüberzug die
bevorzugten Methoden. Bemerkenswert ist die gestalterische
Anwendung von Silbergelb in den Fugen und in der Musterung
der Fliesenböden17.
Stil, Datierung: Alle Motive und Stilformeln, die bei der Ge-
staltung der Heiligenfigur zum Vorschein kommen, lassen sich
auf das in nahezu allen Kunstgattungen des ausgehenden 15.
bis frühen 16. Jahrhunderts geläufige Formenvokabular zu-
rückführen. So findet sich die Art der Gewandmodellierung
mit großzügig gestupften Schattenzonen und mit negativ- wie
positiv herausgearbeiteten voluminösen, hakenförmigen Fal-
tenbildungen in der Lüneburger Glasmalerei bereits um 1491
und in Köln bis hinein in die joer-Jahre des 16. Jahrhunderts18.
Eine verwandte Faltengebung und ähnliche Fliesenmuster, das
Ehrenteppichmotiv mit Zierborten und farbigen Fransen und
sogar vergleichbar dekorierte Buchdeckel gibt es bei den Apos-
telfiguren der ehemaligen Verglasung der Zisterienserinnen-
klosterkirche Neuendorf um 1509, ohne dass Loccum indessen
an deren Maßstab und Qualitätsstufe heranreicht19. Zudem er-
laubt die extrem verwitterte, verdunkelte, teilweise mechanisch
beschädigte Glasoberfläche der Matthiasscheibe keine weiteren
Schlüsse hinsichtlich spezifischer Merkmale einer ausführen-
den Werkstatt bzw. deren Lokalisierung. Obwohl der oben an-
gesprochene zweifelhafte Bezug zwischen dem Bild des Apostel
Matthias und dem 1528 ermordeten Abt Burchard Stöter weder
bestätigt noch wiederlegt werden kann, ist eine Datierung in
das erste Drittel des 16. Jahrhunderts dennoch plausibel.
CVMA B 1212, A 06/2014/105-107 D
ANHANG: EHEMALIGE KREUZGANGVERGLASUNG
Nach der scharf kritisierten Umbaukampagne des Loccumer Klosters veröffentlichte Conrad Wilhelm Hase im Jahr
1867 einen ausführlichen Aufsatz, der seine Baumaßnahmen rechtfertigen sollte20. Zur Verglasung des Kreuzgangs
erläutert er, dass ihre Gestaltung »größtentheils en grisaille gehalten, mit einzelnen gelben und rothen, zierlich or-
namentierten, theils auch mit Inschriften versehenen Bändern getheilt« sei. Leider, so fügt er hinzu, »war die Malerei
so sehr zerstört«, dass bei der jüngsten Restaurierung »nur die Rosetten und Zwickel der Bogenfelder in derselben
Weise wieder hergestellt werden konnten«21. Seinem Text fügte er u.a. drei Tafeln mit den nach der Restaurierung an-
gefertigten, kolorierten »Abbildungen einiger Glasfenster des Kretizganges« an, die für die nachfolgende Forschung
zur entscheidenden Bildquelle geworden sind (Fig. 305E)22. Nur Mithoff muss einige ausgeschiedene Fragmente der
ursprünglichen Kreuzgangsverglasung noch vor 1871 am Ort gesehen haben: »Aus dem Charakter der Ornamente
und dem früher in dem einen Fenster vorhandenen Inschrifts-Bruchstück in goth. Majuskel >RITVS SAPIENTIE<
ist zu schließen, dass die Malereien bald nach der Erbauung der Kreuzgänge ausgeführt sind«23.
Die derzeitige Maßwerkverglasung der Kreuzgangfenster enthält keine alten Fragmente mehr (Fig. 307). Doch die
von Hase offenbar nach Befund konzipierten Ornamentscheiben zeigen in ihrer Komplexität, Kleinteiligkeit, de-
zenten Farbakzenten und der Verflechtung von geometrischen und vegetabilen Elementen ganz enge Berührungs-
punkte mit den erhaltenen Ornamentverglasungen der Zisterzienser aus der zweiten Hälfte 13. Jahrhunderts, etwa
im Kreuzgang des Klosters Heiligenkretiz oder in den Quer- und Langhausfenstern der Klosterkirche Haina24.
9 Weidemann 1822, S. 28 (s. Reg. Nr. 22).
10 Mithoff, I, 1871, S. 124 mit Anm. 3 (mit Verweis auf die obenge-
nannte Stiftung ohne Quellenangabe).
11 Ebenda, S. 124, ohne exakte Angaben zum Standort des genannten
Kapellenfensters oder zum Zeitpunkt der Neueinsetzung der Scheibe.
12 Mithoff, I, 1871, S. 130.
13 Hölscher 1913, S. 36, ohne Quellennachweis.
14 Mithoff, I, 1871, S. 124, ohne exakte Angabe, wo sich das genann-
te Kapellenfenster befand.
15 Die Grabplatte des Abtes Burchard II. Stöter befindet sich an ihrem
ursprünglichen Ort im Kapitelsaal des Klosters und präsentiert die In-
schrift: Anno ■ Dni ■ MCCCCCXXVIII • ipso die Agathe virginis • in-
terfectus est reverendus Dnus ■ BURCHARDUS Abbas Luccens • Cujus
aia • requiescat in pace. Darüber hinaus wurde am Ort der Ermordung
auf dem Klostergelände ca. 200 m südwestlich der Kirche ein Kreuzstein
errichtet mit einer Darstellung des vor dem Kruzifix knienden Abtes mit
der Axt im Hinterkopf, dem Wappenschild zu seinen Füßen und dem
Epitaph darunter: Anno dnim ccccc xxviii am da/ehe agate wart hirab-
bet B / cherdt va des closters egenen m/ ne vnsculdige doet gehawe de go /
gnade. Später gelangte dieses Epitaph in den Kirchhof an der Nordseite
der Kirche und wurde 1848 zusammen mit anderen historischen Stein-
platten ins Langhaus übertragen. Hierzu Werner Müller/Günther E.
Baumann, Kreuzsteine und Steinkreuze in Niedersachsen, Bremen
und Hamburg: Vorhandene und verlorengegangene Rechtsdenkmale
und Memorialsteine (Forschungen zur Denkmalpflege in Niedersach-
sen 5), Hameln 1988, S. 56f.; Mithoff, 1,1871, S. 129; Weidemann 1822,
S. 43h, 162.
LCI, VII, 1974, Sp. 602-607 (Martin Lechner).
17 Dieses beliebte Fliesenmuster wurde ursprünglich für illusionis-
tisch reliefierte Kassettendecken verwendet; vgl. hierzu die Ausfüh-
rungen zu Uslar, S. 409.
Vgl. u.a. das Körkammerfenster im Lüneburger Rathaus (CVMA
Deutschland VII,2, 1992, Taf. 37) und Fenster nord XXIV im Köl-
ner Dom (CVMA Deutschland IV,i, 1974, Taf. 25of.).
19 Vgl. CVMA Deutschland XIX,2, 2009, Abb. 19-21.
20 Hase 1864 bzw. 1867, bes. Sp. 280-289.
21 Hase 1864 bzw. 1867, Sp. 287.
22 Ebenda, Bl. 76-78.
23 Mithoff, I, 1871, S. 130. - Der Zusammenhang zwischen dem er-
wähnten Inschriftfragment und der ursprünglichen Ornamentvergla-
sung kann nicht mehr rekonstruiert werden; offensichtlich handelt es
sich nicht um eine Stifterinschrift wie jene des LVPVLDVS FRATER
in der Klosterkirche Haina; vgl. Parello 2008, S. 150, Fig. 108.
24 Zu Heiligenkreuz vgl. CVMA Österreich II,i, 1972, Abb. 262,
271, 284!., 293, 316, 333, 346!.; zu Haina CVMA Deutschland III,3,
2008, Fig. 100, Abb. 81-97.
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den und der nahezu verlorenen Gesichtsmodellierung bleiben
Wisch-, Stupf- und Radiertechniken im Halbtonüberzug die
bevorzugten Methoden. Bemerkenswert ist die gestalterische
Anwendung von Silbergelb in den Fugen und in der Musterung
der Fliesenböden17.
Stil, Datierung: Alle Motive und Stilformeln, die bei der Ge-
staltung der Heiligenfigur zum Vorschein kommen, lassen sich
auf das in nahezu allen Kunstgattungen des ausgehenden 15.
bis frühen 16. Jahrhunderts geläufige Formenvokabular zu-
rückführen. So findet sich die Art der Gewandmodellierung
mit großzügig gestupften Schattenzonen und mit negativ- wie
positiv herausgearbeiteten voluminösen, hakenförmigen Fal-
tenbildungen in der Lüneburger Glasmalerei bereits um 1491
und in Köln bis hinein in die joer-Jahre des 16. Jahrhunderts18.
Eine verwandte Faltengebung und ähnliche Fliesenmuster, das
Ehrenteppichmotiv mit Zierborten und farbigen Fransen und
sogar vergleichbar dekorierte Buchdeckel gibt es bei den Apos-
telfiguren der ehemaligen Verglasung der Zisterienserinnen-
klosterkirche Neuendorf um 1509, ohne dass Loccum indessen
an deren Maßstab und Qualitätsstufe heranreicht19. Zudem er-
laubt die extrem verwitterte, verdunkelte, teilweise mechanisch
beschädigte Glasoberfläche der Matthiasscheibe keine weiteren
Schlüsse hinsichtlich spezifischer Merkmale einer ausführen-
den Werkstatt bzw. deren Lokalisierung. Obwohl der oben an-
gesprochene zweifelhafte Bezug zwischen dem Bild des Apostel
Matthias und dem 1528 ermordeten Abt Burchard Stöter weder
bestätigt noch wiederlegt werden kann, ist eine Datierung in
das erste Drittel des 16. Jahrhunderts dennoch plausibel.
CVMA B 1212, A 06/2014/105-107 D
ANHANG: EHEMALIGE KREUZGANGVERGLASUNG
Nach der scharf kritisierten Umbaukampagne des Loccumer Klosters veröffentlichte Conrad Wilhelm Hase im Jahr
1867 einen ausführlichen Aufsatz, der seine Baumaßnahmen rechtfertigen sollte20. Zur Verglasung des Kreuzgangs
erläutert er, dass ihre Gestaltung »größtentheils en grisaille gehalten, mit einzelnen gelben und rothen, zierlich or-
namentierten, theils auch mit Inschriften versehenen Bändern getheilt« sei. Leider, so fügt er hinzu, »war die Malerei
so sehr zerstört«, dass bei der jüngsten Restaurierung »nur die Rosetten und Zwickel der Bogenfelder in derselben
Weise wieder hergestellt werden konnten«21. Seinem Text fügte er u.a. drei Tafeln mit den nach der Restaurierung an-
gefertigten, kolorierten »Abbildungen einiger Glasfenster des Kretizganges« an, die für die nachfolgende Forschung
zur entscheidenden Bildquelle geworden sind (Fig. 305E)22. Nur Mithoff muss einige ausgeschiedene Fragmente der
ursprünglichen Kreuzgangsverglasung noch vor 1871 am Ort gesehen haben: »Aus dem Charakter der Ornamente
und dem früher in dem einen Fenster vorhandenen Inschrifts-Bruchstück in goth. Majuskel >RITVS SAPIENTIE<
ist zu schließen, dass die Malereien bald nach der Erbauung der Kreuzgänge ausgeführt sind«23.
Die derzeitige Maßwerkverglasung der Kreuzgangfenster enthält keine alten Fragmente mehr (Fig. 307). Doch die
von Hase offenbar nach Befund konzipierten Ornamentscheiben zeigen in ihrer Komplexität, Kleinteiligkeit, de-
zenten Farbakzenten und der Verflechtung von geometrischen und vegetabilen Elementen ganz enge Berührungs-
punkte mit den erhaltenen Ornamentverglasungen der Zisterzienser aus der zweiten Hälfte 13. Jahrhunderts, etwa
im Kreuzgang des Klosters Heiligenkretiz oder in den Quer- und Langhausfenstern der Klosterkirche Haina24.
9 Weidemann 1822, S. 28 (s. Reg. Nr. 22).
10 Mithoff, I, 1871, S. 124 mit Anm. 3 (mit Verweis auf die obenge-
nannte Stiftung ohne Quellenangabe).
11 Ebenda, S. 124, ohne exakte Angaben zum Standort des genannten
Kapellenfensters oder zum Zeitpunkt der Neueinsetzung der Scheibe.
12 Mithoff, I, 1871, S. 130.
13 Hölscher 1913, S. 36, ohne Quellennachweis.
14 Mithoff, I, 1871, S. 124, ohne exakte Angabe, wo sich das genann-
te Kapellenfenster befand.
15 Die Grabplatte des Abtes Burchard II. Stöter befindet sich an ihrem
ursprünglichen Ort im Kapitelsaal des Klosters und präsentiert die In-
schrift: Anno ■ Dni ■ MCCCCCXXVIII • ipso die Agathe virginis • in-
terfectus est reverendus Dnus ■ BURCHARDUS Abbas Luccens • Cujus
aia • requiescat in pace. Darüber hinaus wurde am Ort der Ermordung
auf dem Klostergelände ca. 200 m südwestlich der Kirche ein Kreuzstein
errichtet mit einer Darstellung des vor dem Kruzifix knienden Abtes mit
der Axt im Hinterkopf, dem Wappenschild zu seinen Füßen und dem
Epitaph darunter: Anno dnim ccccc xxviii am da/ehe agate wart hirab-
bet B / cherdt va des closters egenen m/ ne vnsculdige doet gehawe de go /
gnade. Später gelangte dieses Epitaph in den Kirchhof an der Nordseite
der Kirche und wurde 1848 zusammen mit anderen historischen Stein-
platten ins Langhaus übertragen. Hierzu Werner Müller/Günther E.
Baumann, Kreuzsteine und Steinkreuze in Niedersachsen, Bremen
und Hamburg: Vorhandene und verlorengegangene Rechtsdenkmale
und Memorialsteine (Forschungen zur Denkmalpflege in Niedersach-
sen 5), Hameln 1988, S. 56f.; Mithoff, 1,1871, S. 129; Weidemann 1822,
S. 43h, 162.
LCI, VII, 1974, Sp. 602-607 (Martin Lechner).
17 Dieses beliebte Fliesenmuster wurde ursprünglich für illusionis-
tisch reliefierte Kassettendecken verwendet; vgl. hierzu die Ausfüh-
rungen zu Uslar, S. 409.
Vgl. u.a. das Körkammerfenster im Lüneburger Rathaus (CVMA
Deutschland VII,2, 1992, Taf. 37) und Fenster nord XXIV im Köl-
ner Dom (CVMA Deutschland IV,i, 1974, Taf. 25of.).
19 Vgl. CVMA Deutschland XIX,2, 2009, Abb. 19-21.
20 Hase 1864 bzw. 1867, bes. Sp. 280-289.
21 Hase 1864 bzw. 1867, Sp. 287.
22 Ebenda, Bl. 76-78.
23 Mithoff, I, 1871, S. 130. - Der Zusammenhang zwischen dem er-
wähnten Inschriftfragment und der ursprünglichen Ornamentvergla-
sung kann nicht mehr rekonstruiert werden; offensichtlich handelt es
sich nicht um eine Stifterinschrift wie jene des LVPVLDVS FRATER
in der Klosterkirche Haina; vgl. Parello 2008, S. 150, Fig. 108.
24 Zu Heiligenkreuz vgl. CVMA Österreich II,i, 1972, Abb. 262,
271, 284!., 293, 316, 333, 346!.; zu Haina CVMA Deutschland III,3,
2008, Fig. 100, Abb. 81-97.