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2. Das antike Erbe

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keine Entwicklung mehr denkbar ist und dem nur klassizistische oder
andere Renaissancen und Reaktionen folgen konnten: so war das
geistige Weltbild der Antike in natürlicher Entwicklung in den
grenzenlosen Spiritualismus der späten Zeit gemündet; so auch war
der alte, längst wankende und nur als Tradition gehütete Götter-
glaube gesunken in ein Meer religiöser Bewegungen, aus dem uralte
mystische Vorstellungen sich erhoben. Von innen aus, von der
eigenen Wandlung der Antike aus, war also dem Christentum jeg-
liche Siegeschance geboten, und sein siegreiches Vordringen, das
wichtigste aller Ereignisse, ist darum ebenso durch das innere Leben
der Antike begründet, wie es die mächtigste Kraft zur Zerstörung
eben dieses Lebens war.
Die Einheit und Macht der Alten Welt hatte gelebt von der
bewahrenden Kraft der Scheidung der Kulturträger, der Griechen
und Römer, von den Barbaren (und den Sklaven). Längst hatte
diese Scheidung durch das römische Bürgertum der Kolonial-
bevölkerung, durch die Ausdehnung des Römischen Weltreiches und
durch eine Anerkennung der humanitas ihre Strenge verloren, als
das Christentum, zur Staatsreligion erhoben, solche Grenzen völlig
verwischte und die lokal, politisch und ethnisch bedeutende Ein-
teilung der Welt durch die geistliche Scheidung in Christen und
Heiden aufhob und damit das doch begrenzte „Weltreich“ im
Anspruch über die ganze Welt erweiterte.
Die Machtentfaltung, die in alten Zeiten nur der Gründung und
Sicherung des eigenen Bestandes, dann der kolonialen und mili-
tärischen Expansion gedient hatte, hatte im Gedanken des Welt-
reiches und der Weltwirtschaft schon eine ins Allgemeinste gerich-
tete Wirkung gehabt; jetzt wurde sie dienstbar der Ausbreitung des
Geistigsten, der christlichen Mission. Die Kirche war zunächst Erbe
des imperialen Gedankens. Augustins tiefe Spekulation setzte die
Kirche als Institution der civitas Dei, „dem Reiche Gottes“, gleich.
Indem die Kirche römische Organisation annahm, wurde sie geist-
lich Erbe der antiken Welt; aber indem sie den Anspruch des
„Katholischen“ machte, trug sie dazu bei, die AlteWelt zu erweitern,
aber damit auch zu zerstören. Wie viele fremde Kräfte fanden sich
nun in ihr zusammen, in ihr, die aus der antiken Welt geboren war,
um eben diese antike Welt von innen zu vernichten und dennoch
ihre Werte fortzutragen ins Zukünftige: vor allem östliche Kräfte
und Vorstellungen: die Askese, Elemente orientalischer Mystik und
bilderreicher Eschatologie.
 
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