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16 I. Die Wurzeln der mittelalterlichen Kunst

Es kann nicht unsere Aufgabe sein, im einzelnen zu zeigen, wie
die späte Antike selber von innen her den Einstrom der fremden
und zersetzenden, primitiveren oder gar barbarischen Kräfte
begünstigte. Nur muß immer besonders des starken Anteils gedacht
werden, den der alte und reiche Orient am Leben des späten
Griechentums hatte, dessen Zentrum nun Byzanz war. In unserem
Zusammenhang ist lediglich die Frage von Wichtigkeit, in welcher
Form das antike Erbe auf die Franken überging, welcher Art die
das Mittelalter befruchtenden Kräfte der Alten Welt waren und
welche Bedeutung die Zersetzung der alten Mittelmeerkultur und
die schon lange währende Berührung der Nordvölker mit ihr für die
mittelalterliche Entwicklung hatten.
Die Nordvölker kannten die Antike zur Zeit des Anbruchs der
neuen Entwicklung nur in ihrer spätesten Form: als die Mischung
späten reichsten Römertums mit dem stofflichen Prunk, der quie-
tistischen Weichheit und der starren Formelhaftigkeit byzan-
tinischer (orientalisch-griechischer) Höfischkeit, bereichert durch
syrische und koptische Elemente, verderbt durch rohes Barbaren-
tum, zum Teil aber strenger gefaßt durch asketische Härte und
Formenstrenge der spätgriechischen Renaissance (seit dem 4.Jh.).
Roms und Mailands triumphale Bauten und die große erstarkende
Ordnung der Kirche waren ebenso eindrucksvoll wie die starrende
Pracht und raffinierte Eleganz von Ravenna und die grandiose
Macht und der üppige Pomp von Byzanz. Daneben aber — und
das war vielleicht wichtiger als wir heute noch wissen — lebte auf
heimischem Boden die Erbschaft des römischen Kolonistentums.
Auf gallischem Boden und am Rhein standen noch die alten Römer-
städte. Köln, Mainz, Straßburg und die alte große Kaiserstadt
Trier, alle die alten Plätze antiker Kultur auf nördlichem Boden,
sie waren doch noch da; war auch ihre Blütezeit vorüber, mochten
auch die heimischen primitiven Kräfte noch so sehr umbildend und
primitivisierend gewirkt haben, es standen doch noch die Fora und
Tempel, und es lebte doch im Zentrum des Frankenreiches die alte
Tradition. Dazu kam, daß die mit der späten Antike untrennbar
verbundene gewaltigste Macht, die Kirche, weithin und immer
siegreich sich ausbreitend den keltischen und den germanischen
Boden eroberte. Nach der Gründung von Bistümern und Klöstern
hatte ja schon eine heimische christliche Kunst sich zu entwickeln
begonnen, deren Spuren auf keltischem Boden allerdings reicher
erhalten sind als auf dem germanischen (der überhaupt später sich
 
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