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2. Das antike Erbe

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dem Christentum erschloß), im wesentlichen Edelmetallarbeiten und
Handschriften, von denen wir schon im vorigen Kapitel die irischen
(Book of Kells) und die fränkisch-merowingischen nannten. Gewiß
stand das Land nördlich der Alpen am Rande, aber wirklich ganz
außerhalb der Alten Welt?
Von wie entscheidender Bedeutung auch das Verständnis des
Zustandes der damaligen Welt, das leider noch unsicher tappend
ist, sein mag, so bleibt doch die wichtigste Frage, welche Kräfte
der echten Antike in diesem Wirrwarr noch lebten; denn nur
wenn sie gerettet wurden, kann doch eine Kontinuität des Lebens
des abendländischen Geistes behauptet werden, und nur dann darf
gesagt werden, daß die Antike nicht gestorben sei und im Mittel-
alter im echt historischen Sinne der Fortschritt über die Antike
hinaus geschehen sei.
Es lebte der spätantike Spiritualismus. Denn er war ja ein-
gemündet in das Christentum, und das lebte. Die Behauptung der
Wirklichkeit des „Reiches nicht von dieser Welt“ gegen alle Erfah-
rung, die Herrschaft des unsichtbaren, allgegenwärtigen Gottes, die
Erlösung von der irdischen sündigen Wirklichkeit durch den Herrn
der Zukunft und des Gerichtes, die Göttlichkeit des Heiligen Geistes,
die Bejahung des Lebens nicht in Würde und Macht, sondern in
Liebe und Demut, die Befriedung nicht durch Glück, sondern durch
Glauben und Hoffnung, die Gebundenheit an das Wort, die prak-
tische Verachtung der Welt in Askese und Mönchtum und die Hin-
gabe an die geistliche Wirklichkeit im Gottesdienst, in Messe und
Gebet: all dies Wesentliche des Christentums ist ein für allemal
lebendig in der Form und durch die Formung, welche die reifste
und späteste Blüte der Antike, der spätantike, vom Osten her
bereicherte Spiritualismus ihm gab.
Es lebte der Geist der antiken Ordnung. Die großartige hier-
archische Organisation der Kirche hatte ja nicht nur ihre äußeren
Formen — vom Pontifikat herab bis zur Tracht der Diakonen —
von der römischen Antike übernommen, sondern war als römische
Ordnung entstanden und hat sie immer bewahrt.
Es lebte noch der imperiale Gedanke. Der reichste und feurigste
Geist der späten Alten Welt, Augustinus, hatte ihn selbst fruchtbar
umgeschmiedet zum Werkzeug der Kirche, indem er, der spät-
antike Philosoph, der späte Schüler Platos, ihn vergeistigte, und ihn
mit rhetorischer Kraft und politischem Verstände echt römisch der
Organisation der Kirche dienstbar machte. Wenn die Christiani-
Deutsche Kunst, Bd. 1 2
 
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