Übernahme des antiken Erbes
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tende in Primitivität Zurücksinken und die zunehmende Bar-
barisierung, daß in der vorkarolingischen Kunst die Antike nicht
grundsätzlich anders verarbeitet wurde, als es in den Jahrhunderten
vorher geschehen war.
Es war eben wirklich „die Übernahme des Erbes der Antike“,
also eine aktive Tat, nicht das von der Antike Berührtwerden oder
das Einströmen der Antike, womit die neue Entwicklung begann.
Und eben diese Übernahme des Erbes ist es, womit der Name des
Großen Karl verbunden ist und warum sein Name am Beginn der
Geschichte der deutschen Kunst steht. Dehio hat dies zuerst klar
erkannt und von diesem Namen mit Recht gesagt, daß es keinen
größeren Namen in der deutschen Kunstgeschichte gebe. Als Karl
das Frankenreich endgültig und weit und groß geeint, gesichert und
zu organisieren begonnen hatte, fühlte er sich als Träger der alten
imperialen Gewalt. Die Kaiserkrönung ist das große Symbol dafür,
wobei gleichgültig ist, wieweit Karl damit der Politik der Kirche
diente oder in der Kaiserkrone selber bewußt das Symbol des Erb-
antritts sah. Jedenfalls war Karl damit Nachfolger der römischen
Imperatoren, und die Franken waren die Erben des alten Welt-
reiches. Weil es aber andere und primitive Kräfte waren, die den
Weltreichgedanken nun ergriffen, so wandelte sich dieser. Damit
geschah die grundsätzliche Neuerung, durch welche die jungen
Kräfte aus der Haft der eigenen Enge befreit wurden und der Sinn
des antiken Gedankens in sein Gegenteil verkehrt wurde: es geschah
der Fortschritt über die Antike hinaus.
Als die Kirche als Weltorganisation den Gedanken des Imperiums
als eines geistlichen Reiches, als der civitas Dei, aufgenommen hatte,
da hatte er sich schon einmal gewandelt: von einem politisch-
kulturellen zu einem geistlichen. Damit war er jedoch noch nicht
aus dem Bereich des antiken Geistes getreten; denn die letzte Phase
der antiken Entwicklung war ja eben die Spiritualisierung, die
durch östliche Elemente wie das Christentum zwar begünstigt, doch
nicht bewirkt war. Nun aber, von Karl dem Großen ab — wir
blicken jetzt auf das ganze Mittelalter —, wandelte er sich von
später Vergeistigung in handgreifliche Drastik, wie sie von einer
jungen und ungebildeten Kraft gebraucht wurde. Er „wandelte“
sich; hier darf unter keinen Umständen das — überhaupt gefähr-
liche — Wort Entwicklung gebraucht werden: denn es gibt nicht
Entwicklung von Geistigkeit zu handgreiflicher Kraft, weil es
keine Entwicklung von spät zu früh gibt.
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tende in Primitivität Zurücksinken und die zunehmende Bar-
barisierung, daß in der vorkarolingischen Kunst die Antike nicht
grundsätzlich anders verarbeitet wurde, als es in den Jahrhunderten
vorher geschehen war.
Es war eben wirklich „die Übernahme des Erbes der Antike“,
also eine aktive Tat, nicht das von der Antike Berührtwerden oder
das Einströmen der Antike, womit die neue Entwicklung begann.
Und eben diese Übernahme des Erbes ist es, womit der Name des
Großen Karl verbunden ist und warum sein Name am Beginn der
Geschichte der deutschen Kunst steht. Dehio hat dies zuerst klar
erkannt und von diesem Namen mit Recht gesagt, daß es keinen
größeren Namen in der deutschen Kunstgeschichte gebe. Als Karl
das Frankenreich endgültig und weit und groß geeint, gesichert und
zu organisieren begonnen hatte, fühlte er sich als Träger der alten
imperialen Gewalt. Die Kaiserkrönung ist das große Symbol dafür,
wobei gleichgültig ist, wieweit Karl damit der Politik der Kirche
diente oder in der Kaiserkrone selber bewußt das Symbol des Erb-
antritts sah. Jedenfalls war Karl damit Nachfolger der römischen
Imperatoren, und die Franken waren die Erben des alten Welt-
reiches. Weil es aber andere und primitive Kräfte waren, die den
Weltreichgedanken nun ergriffen, so wandelte sich dieser. Damit
geschah die grundsätzliche Neuerung, durch welche die jungen
Kräfte aus der Haft der eigenen Enge befreit wurden und der Sinn
des antiken Gedankens in sein Gegenteil verkehrt wurde: es geschah
der Fortschritt über die Antike hinaus.
Als die Kirche als Weltorganisation den Gedanken des Imperiums
als eines geistlichen Reiches, als der civitas Dei, aufgenommen hatte,
da hatte er sich schon einmal gewandelt: von einem politisch-
kulturellen zu einem geistlichen. Damit war er jedoch noch nicht
aus dem Bereich des antiken Geistes getreten; denn die letzte Phase
der antiken Entwicklung war ja eben die Spiritualisierung, die
durch östliche Elemente wie das Christentum zwar begünstigt, doch
nicht bewirkt war. Nun aber, von Karl dem Großen ab — wir
blicken jetzt auf das ganze Mittelalter —, wandelte er sich von
später Vergeistigung in handgreifliche Drastik, wie sie von einer
jungen und ungebildeten Kraft gebraucht wurde. Er „wandelte“
sich; hier darf unter keinen Umständen das — überhaupt gefähr-
liche — Wort Entwicklung gebraucht werden: denn es gibt nicht
Entwicklung von Geistigkeit zu handgreiflicher Kraft, weil es
keine Entwicklung von spät zu früh gibt.