5. Späte Blüte
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räumlichen Arkaturen, ihrer Nischengliederung, ihrem reichen Orna-
ment, wodurch die Schreinarchitektur bestimmt wird. Dabei wird
sie noch dekorativ erweicht und ist nicht stark genug, den male-
rischen Glanz zu besiegen. Ein blühender Reichtum der verschieden-
sten Techniken überfunkelt die heiligsten und kostbarsten Gehäuse.
Wie edel und reich, wie vollkommen als Arbeit und Erfindung und
wie nah der besten Antike das Ornament gegen 1200 wird, zeigen die
vergoldeten Bronzekämme der Firste und Giebel, das Filigran der
Knäufe des Annoschreines in Siegburg (Abb. 48, 41).
Den Höhepunkt der ganzen Entwicklung bedeutet dann das
Schaffen des Nikolaus von Verdun: das herrliche emaillierte Reta-
bulum zu Klosterneuburg (bei Wien), das 1181 gefertigt wurde, und
die Plastik des Dreikönigenschreines im Kölner Dom (Abb. 51, 52).
Hier vollzieht sich bei Wahrung höchster Qualität der Übergang vom
Stil des 12.Jhs. zu dem faltenreichen strömenden und schwellenden
der deutschen Spätromanik. Byzanz und die späte Antike stehen Pate,
ein wenig auch die frühe Gotik Frankreichs. Was aber erreicht wird,
ist menschlich freier, inniger, bewegter als alles gleichzeitige Fran-
zösische und ist um ebensoviel der späten Antike nahe. Vor den
Aposteln des Dreikönigenschreines versteht man, daß diese Kunst
bald auf Frankreich zurückwirken sollte, in dem Augenblick, als
Frankreich zur klassischen Reife schritt und zur Vermenschlichung
des Heiligen überging. Die Reimser Plastik ist ohne den Einfluß der
deutschen Goldschmiedekunst nicht denkbar.
Die Bedeutung einer solchen Bewahrung der Tradition auf höch-
stem künstlerischem Niveau kann gar nicht überschätzt werden.
Sie wirkte weithin. Die Ornamentik der Architektur ist ohne sie
nicht denkbar. Die Blüte sächsischer Plastik um und nach 1200
wird unmittelbar von der rheinischen Goldschmiedekunst gefördert.
Die Hildesheimer und Halberstädter Schranken sind eine Über-
setzung der Schreinplastik ins Große (Abb. 52,53). Aber auch in Sach-
sen selber, dem alten Kernland des Ottonischen, lebte die Tradition.
Der Bronzeguß, der von den Hildesheimer Türen und der Säule über
die Grabplatte Rudolfs von Schwaben, die Nowgoroder Domtüren,
den Friedrich von Wettin bis zu dem Braunschweiger Löwen hier hei-
misch war, bringt nun sein schönstes und reichstes Werk hervor, ein
Werk, das ohne die rheinische Goldschmiedekunst nicht so aussähe:
das Taufbecken im Hildesheimer Dom (Abb. 57,58). Hier haben sich
alle Kräfte der Zeit zur höchsten Leistung überhaupt vereinigt. In der
Gießhütte, die das Hildesheimer Taufbecken fertigte, lernte wahr-
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räumlichen Arkaturen, ihrer Nischengliederung, ihrem reichen Orna-
ment, wodurch die Schreinarchitektur bestimmt wird. Dabei wird
sie noch dekorativ erweicht und ist nicht stark genug, den male-
rischen Glanz zu besiegen. Ein blühender Reichtum der verschieden-
sten Techniken überfunkelt die heiligsten und kostbarsten Gehäuse.
Wie edel und reich, wie vollkommen als Arbeit und Erfindung und
wie nah der besten Antike das Ornament gegen 1200 wird, zeigen die
vergoldeten Bronzekämme der Firste und Giebel, das Filigran der
Knäufe des Annoschreines in Siegburg (Abb. 48, 41).
Den Höhepunkt der ganzen Entwicklung bedeutet dann das
Schaffen des Nikolaus von Verdun: das herrliche emaillierte Reta-
bulum zu Klosterneuburg (bei Wien), das 1181 gefertigt wurde, und
die Plastik des Dreikönigenschreines im Kölner Dom (Abb. 51, 52).
Hier vollzieht sich bei Wahrung höchster Qualität der Übergang vom
Stil des 12.Jhs. zu dem faltenreichen strömenden und schwellenden
der deutschen Spätromanik. Byzanz und die späte Antike stehen Pate,
ein wenig auch die frühe Gotik Frankreichs. Was aber erreicht wird,
ist menschlich freier, inniger, bewegter als alles gleichzeitige Fran-
zösische und ist um ebensoviel der späten Antike nahe. Vor den
Aposteln des Dreikönigenschreines versteht man, daß diese Kunst
bald auf Frankreich zurückwirken sollte, in dem Augenblick, als
Frankreich zur klassischen Reife schritt und zur Vermenschlichung
des Heiligen überging. Die Reimser Plastik ist ohne den Einfluß der
deutschen Goldschmiedekunst nicht denkbar.
Die Bedeutung einer solchen Bewahrung der Tradition auf höch-
stem künstlerischem Niveau kann gar nicht überschätzt werden.
Sie wirkte weithin. Die Ornamentik der Architektur ist ohne sie
nicht denkbar. Die Blüte sächsischer Plastik um und nach 1200
wird unmittelbar von der rheinischen Goldschmiedekunst gefördert.
Die Hildesheimer und Halberstädter Schranken sind eine Über-
setzung der Schreinplastik ins Große (Abb. 52,53). Aber auch in Sach-
sen selber, dem alten Kernland des Ottonischen, lebte die Tradition.
Der Bronzeguß, der von den Hildesheimer Türen und der Säule über
die Grabplatte Rudolfs von Schwaben, die Nowgoroder Domtüren,
den Friedrich von Wettin bis zu dem Braunschweiger Löwen hier hei-
misch war, bringt nun sein schönstes und reichstes Werk hervor, ein
Werk, das ohne die rheinische Goldschmiedekunst nicht so aussähe:
das Taufbecken im Hildesheimer Dom (Abb. 57,58). Hier haben sich
alle Kräfte der Zeit zur höchsten Leistung überhaupt vereinigt. In der
Gießhütte, die das Hildesheimer Taufbecken fertigte, lernte wahr-
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