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98 IV. Von Karl dem Großen bis zum Ende des, romanischen Stiles

und am Kreuzfuß von St. Omer haben eine unarchitektonische stille
Lässigkeit und feine Menschlichkeit, die sich allein in leise überdehnten
Gebärden und großer versonnener Haltung ausspricht, wie man sie
zwar um 1000 ähnlich kannte, aber gegen Mitte des 12. Jhs. nicht mehr
vermutet. Die rheinischen und sächsischen Werkstätten (Werkstatt
von Eilbertus, St. Pantaleon, Fridericus) beginnen schlichter, strenger.
Ein Anschluß an die doch stark ottonisch bestimmte Kunst Rogers
ist zu merken. Was diesen Arbeiten aber das Gepräge gibt, ist nicht
die schlichte Form und die harte Zeichnung, es ist die Farbe. Die
neue Technik des Grubenschmelzes, die sowohl den Zellenschmelz
wie das opus interrasile ablöst, erlaubt die reichste Farbigkeit. Gold-
und Silberglanz, Steine, Perlen, Filigran genügen nicht mehr dem
Drang nach malerischem Reichtum. Unbeschreiblich ist die farbige
Wirkung des bedeutendsten Werkes, des Heribertschreines in Deutz,
an dem wohl dieRhein-und Maaskunst zusammen wirkten (Abb.49,50).
Der Deutzer Schrein, gearbeitet im dritten Viertel des 12. Jhs. als kost-
bares Gehäuse für die Gebeine des hl. Heribert, ist ein 1,53 m langer,
63 cm hoher mit vergoldetem Kupfer überzogener Kasten aus Eichen-
holz mit einem Satteldach. Er hat also eine Form, die zwischen
Haus und Sarkophag die Mitte hält. Aber merkwürdig im 12. Jh.,
bezeichnend für die deutsche Kunst, für ihre Unwilligkeit zur Monu-
mentalität ist das völlige Fehlen einer architektonischen Ordnung.
Emaillierte Leisten teilen kassettierend die Seiten und die Giebel in
annähernd quadratische Felder. Die getriebenen Sitzfiguren vor den
Feldern der Längsseiten sind bewegter und freier im Sinne der späten
Antike als selbst die Apostel Rogers vom Paderborner Domaltar.
Sie sitzen auf schönen Thronen frei und einander zugekehrt, mit-
einander debattierend. Nur die einfachen Konturen, die strengere
Plastik verrät den Geist des 12. Jhs. Die Felder des Daches sind
mit großen Grubenschmelzscheiben zwischen getriebenem, von
Figuren belebtem Rankenwerk gefüllt, in ihnen wird das Leben des
Heiligen anschaulich und szenenreich und farbig wie in Miniatur-
malerei erzählt. Nur daß die Schmelzfarben von einem ganz anderen
tiefen Glanz sind als dort und die Zeichnung von einer kaum zu über-
bietenden Klarheit und Treffsicherheit. Nicht bei allen Szenen wird
eine symmetrische Bändigung, wie sie dem romanischen Stil ent-
spricht, verspürt. Es bedarf keines Wortes für den, der unsere Abbil-
dung sieht, daß die ererbte Freiheit die archaische Strenge überwiegt.
Späterhin wird man architektonischer. Aber es ist die malerische
spätromanische rheinische Architektur mit ihren Kleeblattbögen und
 
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