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5. Späte Blüte

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stätter Pult (Abb. 40), das Schottentor in Regensburg, vor allem aber
die Bamberger Domskulpturen und die Freiberger Goldene Pforte
(Abb.4) bezeichnen das Werden einer eigenen deutschen Großplastik.
In Sachsen trifft diese Bewegung mit einem Erstarken des Byzan-
tinismus und einem vom Ottonischen her bewahrten Klassizismus in
einer fruchtbaren Mischung zusammen. Nie war man im deutschen
Mittelalter der Antike näher als hier. Die Kreuzgruppen von Halber-
stadt und Wechselburg, der Klassizismus der Freiberger Goldenen
Pforte, die Stuckfiguren der Hildesheimer und Halberstädter Chor-
schranken sind bezeichnend dafür (Abb. 53). Die barocke Note bringt
hier wesentlich der byzantinische Einschlag, der am deutlichsten in der
Malerei, etwa der gemalten Decke von St. Michael in Hildesheim, ge-
sehen wird (Abb. 56). Aber darf man jemals Einflüsse als entscheidend
für das Wesen einer Kunst ansehen? Ist nicht die Aufnahme eines
fremden Stils gerade positives Zeugnis einer Verwandtschaft oder
Sehnsucht? Ist nicht das Einfließen nur möglich, weil es immer zu-
gleich ein Angesogenwerden ist ? Die Vielfältigkeit und der gebrochene
Reichtum der byzantinischen Zeichnung, der farbige Glanz der öst-
lichen Kunst und die Würde der griechischen Figurdarstellung, sie
verhalfen eben zu jenem bewegten, schäumenden und trotz allem
Humanismus und Naturalismus großen Stil, nach dem man verlangte.
Der barocke Charakter dieses Spätstiles wird aber nicht zum
wenigsten dadurch bewirkt, daß überall, in der Architektur, in der
Malerei, in der Plastik, die romanischen oder ottonischen Charakter
haben, die jedenfalls ganz in der Tradition vom Karolingischen her
stehen — daß in fast jedem Werk irgendwie schon die feindliche
Gotik verspürt wird, die zwar verarbeitet, umgebildet, verdeckt
wird, aber doch schon gegen das Alte rebelliert. Dieser Kontrast gibt
das feurigste Leben.
Die Kontinuität der künstlerischen Entwicklung der deutschen
Kunst vom Karolingischen über das Ottonische bis zum Spät-
romanischen oder, was dasselbe ist, die Bewahrung und das Weiter-
wirken des spätantiken Erbes läßt jener Kunstzweig erkennen, der
bis gegen 1200 in allen Epochen die edelsten Werke hervorgebracht
hat: die Goldschmiedekunst. Nirgends und niemals hat die Edel-
metallkunst im Mittelalter dieselbe Höhe erklommen wie in den
Werkstätten des 12. Jhs. am Niederrhein und an der Maas. Anknüp-
fend an ottonische Elfenbeinschnitzerei beginnt die Kunst an der
Maas mit einem großen Meister: Reiner von Huy. Das Lütticher
Bronzetaufbecken, die Plastik am Servatiusschrein in Maastricht
Deutsche Kunst, Bd. 1 7
 
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