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Heercs hindurchgcgangen ist? deren Lrziehung für dcn Staat allein durch
parteiversammlungen und Zeitungen besorgt wird)

Das umfassendste Mittel zur Ausrottung dcr Besten ist aber die dauernde
Hungerblockade, welche die Revolution über die gebildete Oberschicht ver-
hängt hat. Die Revolution rühmt sich, unblutig zu sein, wie ja auch Lng-
land uns am liebsten nach der „trockenen Methode" erledigt hätte. Lrz-
berger, der großc Demagoge, wies neulich triumphierend darauf hin: ein
Telcgraphenarbeiter bezieht heute einen jährlichen Arbeitslohn von 7dso
Mark, also sehr viel mehr als dcr Besitzer eincs Rapitals von zoo ooo Mark.
Lrzberger hätte scine Vergleichung noch wciter ausdehnen sollen: er hätte
daran erinnern sollen, daß nur wenige Universitätslchrer diese Gehaltshöhe
erreichen, viele weit dahinter zurückbleiben. Und wie verhält sich die pen-
sion eines im Rriege erblindeten oder verkrüppelten Offiziers zu den 9000
Mark Linkommen dcs Berliner Müllkutschers) Das ist nun das Schicksal
unseres ganzen mittleren Beamtenstandes, wie des größten Teilcs der An-
gehörigen der freien Berufe: die vorhandene Gcneration kann vielleicht
noch mit äußerster Anstrengung und Lntsagung sich über wasser halten,

— aber was wird aus ihrem Nachwuchs) Darauf wird von denen, die
heute die Zukunft machen, geantwortet: um so schncller cntsteht „freie
Bahn für alle Tüchtigen". Line Antwort, aus der nicht nur die ganze sitt-
liche Roheit des Llasscnkampfes, sondern auch tiefe Unkenntnis des gcisti-
gen Lebens und sciner Bedingungcn spricht. Ls gcnügt ganz und gar nicht,
was üie „Natur" an gcistigen Begabungen ausstreut. Sie müssen durch
Lultur gesteigert werden. Zu solcher Stcigerung bedarf es (nur den ganz
seltenen Fall des „Genies" ausgcnommen) mehrerer Generationen. Die
mittleren Formen Begabung lassen sich nur durch Vererbung und Er-
ziehung crhöhen, eines sorgfältig vorbereitetcn Ackers bedürfen sie. Zer-
ftören wir dicse Humusschicht und vcrschlechtern wir überdies die Aussaat,

— dann wird es uns genau so ergchen, wie den antikcn Völkcrn. Nicht dic
Barbaren haben Rom zu 8all gcbracht, Rom fiel durch sich selbst.

Noch ist es bei uns nicht so weit. Der Äampf der Masse gcgcn das Volk,
der niedercn Lebenssormen gcgen die höheren ist nicht beendct. I:l keinem
Rampf entscheidet allein die Zahl. Möge cin Ieder, der zu dcn Bcsten wahr-
haft gehört haben will, seine (Qualität verdreifachen — und wenn er unter-
gehcn muß, so untergehen, daß man von ihm sagen wird: diescr noch war
cin Dcutscher.

Ich weiß es, warum ich diese Zeilen in einer Universitätsstadt geschrie-
ben habe.

Tübinger Chronik, ig. Juli igig.
 
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