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Begreiflicherweise sind die Bauten gerade der ersten gotischen Generation
vielfach durch jüngeren Nachwuchs wieder verdrängt worden. Um so
wichtiger ist uns alles, was sich aus ihr noch erhalten hat, was uns die
werdenden Gedanken enthüllt. Dies gibt der Lathedrale von Noxon (von
etwa ?)50 bis ))b7) ihre besondere Bedeutung: sie ist durch die vollkom-
mene Linheit ihrer stilistischen Lrscheinung ein Hauptbeleg der Gotik auf
ihrer ersten Stufe. wenn sie verloren wäre, wie es scheint, oder auch nur
stark beschädigt, so wäre das unersetzlich. wenig jünger ist die Notre-Dame
in Lhälons-sur-Marne und die Abteikirche St. Remy in Reims. Die
letzten Nachrichten aus Reims lauten trostlos: bei der Beschießung von
war St. Remy unberührt geblieben; ob auch noch heute, ist schon
zweifelhaft. Zwei der bedeutendsten frühgotischen Lathedralen waren die
von Lambrai und Arras^ für ihren Untergang haben die Franzosen schon
in der Revolution gesorgt, die kommen für sie also heute nicht mehr in
Betracht. Die Arone dcr Frühgotik ist die Rathedrale von Laon. Sie hat
für uns Deutsche noch einen besonderen wert dadurch, daß viele aus
Deutschland zugewanderte Bauleute an ihr mitgearbeitet haben, und daß
Lrinnerungcn an sie in mehrere unserer schönsten Bauten der Stauferzeit
verwoben sind: die Dome von Magdeburg, Naumburg, Bamberg, Lim-
burg an der Lahn. Ihr Bild hat sich jetzt wieder Tausenden unscrer Lands-
leute fest eingeprägt. wenn, was wir nicht wissen, die Rampffront bald
genug nach Südcn vorrücktz dann wird sie gerettet sein — gerettet vor den
französischen Bomben. Lin solches Vorrücken bringt aber sofort andere
hochwertvolle Gebäude in Gefahr: vor allem die Lirchen von Soissons
und Braisne. Auch in dieser Gegend haben in der ersten Hälfte des )3.
Iahrhunderts viele Deutsche gearbeitet; von dort inspiriert sind die Lieb-
fraucnkirche in Trier und die Llisabethkirche in Marburg. Man vergesse
auch nicht, daß es sich gar nicht allein um die Rathedralen und großen Ab-
teikirchcn handelt: — an der Oise und Aisne hat beinahe ein jedes Dors
eine frühgotische Lirche von oft kostbarem wert.

Die Zcit der reifen Gotik ist durch die drei Lathedralen von Lhartres,
Reims und Amiens vertreten. Nur die erftere ist in gesicherter Lage.
Die Lathedrale von Reims ist zwar noch keine Ruine, aber ihre Oberhaut
ist zweifcllos von Rissen und Gchrammen durchsetzt und wieviel von ihrer
herrlichen plastik untergegangen ist, wagt man nur mit angehaltenem
Atem zu fragen. Und schon müssen wir für Amiens zittern, das „parthenon
der Gotik". Lin Gebäude dieser Art bildet keine geschlossene Masse; es ist
ein Gerüst aus dünnen pfeilern, Bögen und widerlagern, wo alles sich
gegenseitig hält und stützt, wo kein Stein ausfallen darf, ohne daß das
Gleichgewicht gestört würde. Die Lathedrale von St. Ouentin war schon
durch den bloßen Lustdruck der platzendeu Geschosse aus dem Gleichgewicht
gebracht, bis ihr die geschlcuderten Sprengmassen den Rest gaben.

Schon vor dem Lriege ging eine laute Llage durch ^rankreich, daß die
Republik den kirchenbaulichen Nationalschatz schamlos verkommen lasse.
In den Iahren nach dem Lriege werden sicher andere Sorgen vordring-

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