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Wolfgang Deutsch

siger, gelöster und auch komplizierter als die Gottmadinger, die Stege dünner.
Sicherlich ist daher der Sippenaltar das spätere Werk (man vergleiche die Entwick-
lung bei Iselin oder dem Frarimeister, S. 55, 49). Und sicher ist die Gottmadinger
Figur der Pfäffikoner Gruppe zeitlich benachbart; ob jünger oder älter, läßt sich
deshalb schwer sagen, weil das Pfäffikoner Gefält auch wegen der offensichtlich
weniger „werklichen“ (auf Fernsicht berechneten?) Ausführung so schlicht und mas-
sig wirkt.
Auf die frühe Entstehung der Muttergottes deuten auch einige andere Merkmale:
So ist die Nase noch nicht so lang und schmal wie die Nasen des Sippenaltars; sie
hat noch die rundlichere Form wie in Pfäffikon449 und St. Katharinenthal463. Auch
treten einige Manieriertheiten des Unterschächener Werks in Gottmadingen, Pfäf-
fikon und St. Katharinenthal noch nicht so deutlich zutage, z. B. die überaus stark
gewellten Augäpfel oder gewisse Asymmetrien wie schiefe Nasen (besonders am
Joseph), ungleich schräg gestellte Augen (Anna, Maria, Joachim, Joseph), ungleich
weit geöffnete Augen (Anna, Joseph). Alles in allem sind die früheren Werke noch
weniger routiniert. Auch die säuberlich gedrehten Löckchen des Gottmadinger Kin-
des wirken altertümlicher.
Ich möchte daher annehmen, daß die Gottmadinger Figur ungefähr zur Zeit der
Pfäffikoner Gruppe entstanden ist, etliche Jahre vor der Unterschächener Sippe, aber
nach dem Katharinenthaler Gestühl.
DasWerk in Schaffhausen
Das vierte Werk, das Schaffhausener, überrascht uns zunächst: es ist nämlich aus
Stein, eigentlich eine Steinmetzarbeit. Es handelt sich um fünf Schlußsteine und sechs
Konsolen in der Löwkapelle der Schaffhauser Pfarrkirche St. Johann. Dargestellt
sind auf den Schlußsteinen, in Halb- oder Dreiviertelfigur: Gott Vater, Christus als
Schmerzensmann, die Muttergottes, Johannes der Täufer und der hl. Beat; an den
Konsolen, in Büsten: vier Engel (?), als Vollfigur: ein kauernder Mann, wohl der
Baumeister; auf einer Hängekonsole: beiderseits ein Löwe, das Stifterwappen. An
der Außenseite der Hängekonsole befindet sich über dem Stifterwappen das Datum
„I. 5. I. 5“464.
Leider sind die Figuren durch Übermalung in teils grotesker Weise entstellt wor-
den (wohl bei der Ausmalung der Schiffe im Jahre 1904 [Inv. S. 182]). Trotzdem
zeigt ein Vergleich mit dem Chorgestühl und den Altären, daß unser Meister diese
Skulpturen geschaffen haben muß, wenn auch wohl mit Gehilfen. Da die Gesichts-
züge entstellt und die Feinheiten überkleistert sind, müssen wir sie beim Vergleich
ausschalten465.
Die stilistische Übereinstimmung mit den Altären erkennt man am bequemsten
an den Marien: Form und Schnitt des Gesichts, die vorstehenden Oberlippen (übri-

463 Freilich ist auch zu berücksichtigen, daß die Nase der Gottmadinger Maria unter der
Aufstellung im Freien und unter dem Ablaugen gelitten und bei der dadurch not-
wendig gewordenen Glättung noch einige zusätzliche Rundungen bekommen hat.
464 Inventar S. 194, 199 und Abb. 249—260, 262; Bendel ZAK Abb. 15, Bilder Abb. 33.
465 In manchen Fällen (bei der Muttergottes oder beim Beatus) wird man fast besser die
Abgüsse im Allerheiligen-Museum zum Vergleich verwenden.
 
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