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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,1.1916

DOI Heft:
Heft 5 (1. Dezemberheft 1916)
DOI Artikel:
Weinel, Heinrich: Warum keine Reichskirche?, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.14295#0270
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bloß ein solch abgeschlossener Ausschuß, sondern eine Reichssynode sie
beraten und dadurch der Sffentlichkeit immer wieder ins Gedachtnis rusen
würde. Auch das mag richtig sein, daß ein Bundesrat vornehmer verhandelt
als eine solche Synode, und daß umgekehrt allerlei Reibungen bisher
dadurch vermieden worden sind, daß sich Auslandsgemeinden nicht nur
einer, etwa Ler preußischen Landeskirche anschließen, sondern nach ihrer
Eigenart wählen konnten. Lieber wäre ihnen allen aber sicher gewesen,
einer einheitlichen deutschen Kirche angehören zu können, setzen sie sich
doch aus allen deutschen Stämmen zusammen. Und wenn endlich Iahn
aussührt, daß man der katholischen Kirche durch „eine Nachahmung ihrer
äußeren Macht" nicht imponiere, die Reichskirche also auch nicht für eine
Besserung der interkonfessionellen Lage in Betracht käme, so ist das doch
nur in sehr begrenztem Maße richtig. So wenig ich diesen Gedanken
betont habe, so wichtig kann doch auch in Zukunft einmal werden, daß der
deutsche Protestantismus der internationalen Kirche gegenüber als eine
große einheitliche Macht auftreten kann. Ausführungen, mit denen der
Iesuit Reichmann (Stimmen der Zeit, Ianuar W6) unseren Plan
begleitet hat, sind in dieser Richtung ganz lehrreich.

Nach ihm bedeutet die evangelische Reichskirche eine der katholi«
schen Kirche gefährliche Verschiebung des heutigen Machtverhältnisses.
Die katholische Kirche müßte sich entweder auch verstaatlichen oder ^ver-
reichlichen" lassen, oder sie würde — da sie das nicht will — »nach und
nach in die Rolle einer fremden, geduldeten Religionsgesellschast herab-
gedrückt werden". Diese Befürchtung zeigt jedenfalls klar, daß die Be»
deutung, welche eine einheitliche deutsche evangelische Kirche für das Bewußt-
sein der Völker gewinnen würde, dort sofort empfunden wird, wo man
weiß, was Einheit auch für eine Kirche bedeuten kann.

Wenn aber Reichmann diese Tatsache benutzt, um unsere deutschen
Katholiken gegen den Plan mobil zu machen, so ist ihm einmal zu erwidern,
daß wir Evangelische uns steuen würden, wenn auch die katholische Kirche
Deutschlands bereit wäre, in die deutsche Reichskirche mit einzutreten. Auch
dann bliebe noch genug gemeinsame christliche Arbeit für eine Reichskirche.
Selbst Männer des Evangelischen Bundes haben in dieser Zeit den andern
die Hand zum Frieden hingereicht, wie die akademische Rede beweist, die
Thümmel über die Frage „Volksreligion oder Weltreligion? Landes-
kirche und Bekenntniskirche im vorigen Iahr gehalten hat. A'ber auch
wenn man darauf nicht eingehen will, so wird von uns aus nichts der
katholischen Kirche Nachteiliges drohen. Weder ist beabsichtigt, den Kaiser
mit einer papstgleichen Macht zum Oberhaupt der Reichskirche zu machen,
noch muß ein neuer Kulturkampf entbrennen. Wir Evangelische haben von
uns aus wirklich andere Aufgaben und sind auch durchaus nicht bloß, wie
Reichmann höhnisch versichert, in unserm Gegensatz gegen den Katholizis-
mus einig. Nicht einmal das nicht ganz glückliche Wort von Tröltsch, das
er anführt, beweist das. Das Evangelium war eine einheitliche Macht,
ehe die Kirche war; es hat die Kirche geschaffen und wird nach aller Kirche
bleiben. Darum folgen wir auch nicht, wenn Reichmann uns einlädt, um
der Schwachheit unsrer Landeskirchen willen doch lieber gleich in die mächtige
Kirche des Katholizismus zurückzukehren. Wir ziehen es vor, die Wahr-
heit höher zu halten als die Einheit, das Evangelium höher als die Ge-
schlossenheit der Kirche. So hat einst Luther gewählt und die ganze Re»
formation, so wählen wir wieder, wenn wir wählen müssen.
 
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