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hintereinander vorschiebenden, vier bis fünf Reihen ver-
schiedenartig gestellter und durchmodellierter Flug-
federn und den sich deckenden langgebogenen Schwung-
federn sind von höchst lebendiger Wirkung. Hinter letz-
teren ist über der glatten Fläche des feisten, schwach ge-
bogenen Halses die gesträubte Kammähne mit wenigen,
aber ausdrucksvollen Linien angedeutet.

Von dem Greifen des stärker zerstörten südöstlichen
Kapitells, dessen beide Volutenköpfe und der den
Schmuck der Ostseite bildende Stierkopf allein aus der
französischen Grabung bekannt waren (Pontremoli-Haus-
soullier 81 ff., Tf. 7—9), hat sich das großeBruchstück des
Halses gefunden, das, obgleich der Kopf fehlt, doch
durch den Ansatz der charakteristischen Kehlzottel und
das Fehlen der Mähne erkennen läßt, daß hier als Gegen-
stück zu dem nördlichen Löwengreif ein Vogelgreif dar-
gestellt war.

Der von Plättchen und Rundstab oben begrenzte, hohle
Horizontalkanalis, der ohne Zwickelpalmette bei den
Volutenbüsten ansetzt, verschwindet hinter dem mähnen-
besetzten Hals des Ungetüms. Ebenso ist auch der wie
bei den übrigen Kapitellen der Außenreihen gestaltete
Abakuseierstab, außer an den beiden Polsterseiten, nur
stückweise zwischen dem Greif, den Volutenköpfen und
je einem die Mitte der beiden Kapitellfronten ein-
nehmenden, hängenden Stierkopf sichtbar.

Der letztere setzt mit seinem Schopf nahe unter dem
Oberlager an und reicht mit seiner Schnauze über die
Mitte desEchinus hinab. Die, denResten nach zu urteilen,
kurzgedrungenen Hörner, die starke krause, teilweise
gelockte Stirnbehaarung und die wulstigen Nasenfalten
der mit ausgezeichneter Naturbeobachtung dargestellten
Köpfe machen es wahrscheinlich, daß es sich bei diesen
Opfertieren um Biiffelstierkälber oder eine diesen wenig-
stens sehr nahestehende Rinderrasse handelt. Hinter
den, seitlich fast horizontal, etwas herabgeneigt frei vor-
gestreckten Ohren hängen vom Nacken her jederseits in
kugelförmigeBauschen zusammengeschnürte Opferbinden
herab, deren quastenförmige Enden eine Stilisierung als
Blumenkelche zeigen und die, soweit sie vor der Kanalis-
rinne liegen, zum Teil frei hinterarbeitet sind.

Der Echinus endlich, der auch nur auf den kurzen,
zwischen Greif und Büsten freibleibenden Strecken ganz
zur Entwicklung kommt, hat die übliche jonische Eier-
stabform verloren. Seine im Quersclinitt mit ihrer steilen
Kurve nur noch entfernt an das jonische Kyma erinnernde
Fläche ist mit einer loekeren Anthemienreihung von
offenen Palmetten und Blüten ohne Rankenverbindung
in flach ausgeschnittenem, nur wenig modelliertem Relief
bedeckt.

Das nordöstliche Kapitell fand sich zwar mit dem zu-
gehörigen Gebälk in seiner Sturzlage, aber durch den
Fall gänzlich zertrümmert vor (F 47 Tf. 35; F 48 Tf. 36).
Dieses Zerbersten in Verbindung mit der hohen Lage ist
die Ursache gewesen, daß, offenbar bei Errichtung der
Dorfhäuser über dieser Stelle, viele Bruchstücke zer-
stört wurden und daher verschwunden sind. So haben
sich die nach dem Sturz unten liegenden Teile, der Eck-
greif und die beiden anschließenden Frontseiten mit den
Stierköpfen, gut erhalten, während von den hoch-
liegenden Volutenbüsten nur die Ansätze der Vernich-

tung entgangen sind. Von der Büste der Ostseite ist
lediglich die linke, mit einem in tief und plastisch
modellierten Falten liegenden Gewand bedeckte Schulter
und der Rest des reichen, frei herausgearbeiteten, kurz
gekräuselten Gelockes der linken Kopfseite erhalten.
Noch weniger ist von dem Kopf der Nordseite übrig-
geblieben: Ein Stück der rechten Seite des Halses, dar-
über der größteTeil des rechten Ohres und hinter diesem
abwärts über die Schulter, von der nur schwer deutbare
Reste vorhanden sind, lang und bewegt herabwallende,
lockige Haarsträhnen. Während man bei dem östlichen
Kopf über das Geschlecht im Zweifel sein kann, handelt
es sich hier nach der Bildung des Halses und der Haare
offenbar um ein weibliches Wesen.

Während der Körper des südöstlichen Kapitells gänzlich
verschwunden ist, sind die beiden prachtvollen Voluten-
büsten desselben mit großen Teilen der anschließenden
Polster in vorzüglicher Erhaltung nebst dem gegenüber
demjenigen des Nordostkapitells etwas abweichend
modellierten östlichen Stierkopf und dem Greifenhals
der Zerstörung entgangen. Die Volute der Ostseite trägt
eine mit ärmellosem, durch scheibenförmige Spangen auf
beiden Sdiultern genesteltem Chiton bekleidete Büste
mit bartlosem, gelocktem, in einer Wendung gegen seine
rechte Seite südwärts blickendem Kopf. Durch den liinter
der rechten Schulter aufragenden, in flachem Relief ge-
arbeiteten Bogen und Köcher wird der dargestellte Jüng-
ling noch besonders als Apollon charakterisiert. Das
anschließende Polster der nördlichen Kapitellseite ist
fast bis zur Hälfte erhalten, und nahe der rechtenSchulter
ist noch eine Palmette des Echinus sichtbar.

Die Büste der Südvolute mit unbekleideter Brust, bär-
tigem Kopf und wulstiger Binde im stark gelockten Haar
ist ihrem ganzen Typus nach zweifellos als Zeus zu er-
kennen. Mit einer Wendung gegen seine linke Schulter
blickt derselbe nach Osten. Die Erhaltung ist eine weniger
gute, auch von der Volute ist nur einRandstück gehlieben.

Da die Deutung dieser Büsten auf Zeus und Apollon ge-
sichert ist, so wird die Ansicht, daß die verlorenen Köpfe
des Nordostkapitells an der Ostseite Artemis und an der
Nordseite Leto darstellten, wozu die spärlichen Reste
durchaus passen, zweifellos die richtige sein.

Beide Köpfe sind in ihrer virtuosen, mit kräftigen, auf
starke Licht- und Schattenwirkung berechneten Tiefen
arbeitenden Tedinik und der gewandten Weiterentwick-
lung älteren Formgutes im Sinne dekorativen Reichtums
echte Gebilde einer Barockkunst. Am nächsten verwandt
sind ihnen wohl Werke wie die architektonischen Skulp-
turen der Thermen von Aphrodisias (vgl. Mendel II
494 ff.).

Die Hauptabmessungen des Nordostkapitells stimmen zu
denjenigen der übrigen Kapitelle der Außenreihen, denen
beide Eckkapitelle ja auch in der Bildung der Polster
und des Abakus durchaus gleichen, so daß an der gleich-
zeitigen Entstehung mit diesen kein Zweifel ist. Die reine
Höhe von Unterlager his Oberlager einschließlich Abakus
beträgt 0,697 m, der untere Durchmesser 1,840 m bis
1,844 m, die Polsterlänge ungefähr 1,812 m. Der Greifen-
körper mit den Pranken reicht noch um 0,40 m vom
Kapitellunterlager abwärts und legte sich also so weit
vor die Halstrommel der Säule.

Figürliche
Ausstattung
der Eckkapitelle

Götterbüsten
der Eckkapitelle

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