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Art diese kleinen Bauanlagen waren, ergibt sich aus der
schönen und klaren Darstellung eines Altars auf der
Busirisvase (Pfuhl, MuZ, Abb. 152): Hier bildet ein ganz
gleichartig gestaltetes Kapitell den Abschluß des vor-
deren Eckpfeilers des Altars, wobei man sich vorstellen
muß, daß die beiden Eckpfeiler solcher im übrigen, wie
vielfach üblich, aus Lelim oder Bruchstein aufgehauten
Altäre gegen den Standplatz des Opfernden hin lisenen-
artig um die Breite der schmalen Kapitellseite vorgezogen
waren, wodurch die hakenförmige Ausklinkung ihre Er-
klärung findet. Die erwähnte, der spätrömischen Kaiser-
zeit angehörige Hydrophoreninschrift auf der Außen-
wandung des einen rechtsseitigen Kapitells zeigt, daß
diese Altäre — nach der Zahl der erhaltenen Stücke waren
es mindestens zwei — noch in dieser Spätzeit bestanden
haben. Da es nicht denkbar ist, daß Altäre, die doch wohl
vor allem der Zerstörung anheimfielen, die Perser-
verwüstung überdauert hätten, so kann man entweder
nur annehmen, daß jene bei der Wiedereinrichtung des
Kultes unter Yerwendung der alten Kapitelle, die durch
einen günstigen Zufall der Zertrümmerung entgangen
wären, wiederhergestellt worden seien, oder daß die
Kapitelle erst der nachpersischen Zeit angehören. Stilistisch
stellen letztere jedenfalls die ältesten bekannten Beispiele
jonischer Antenkapitelle dar, die die Herkunft auch dieser
Form aus der Erinnerung an den alten, mit schwachen
Hölzern arbeitenden asiatisch-jonischen Holzbau ebenso
zeigen, wie dies bei dem jonischen Architrav und Zahn-
sdinitt der Fall ist. Die Wulste geben sicli deutlich als die
abgerundeten Enden ebensovieler übereinandergelegter,
die Wand abschließender Bohlen zu erkennen und sind
darin den Faszien der Architrave verwandt.

Bestände nicht die Schwierigkeit, die aus der Erhaltung
und Weiterverwendung in spätantiker Zeit entsteht, so
würde man die Stücke ohne weiteres mit dem form-
verwandten Altar von Monodendri in das sechste Jahr-
hundert in vorpersische Zeit datieren. Bedenkt man
jedoch dagegen, daß die furchtbare Katastrophe der
Perserzerstörung auch die normale Weiterentwidclung
der Baukunst und den gesetzmäßigen Wandel der Formen
verzögert und unterbunden hahen muß, so kann man sich
leicht vorstellen, daß in Milet noch im ersten Drittel des
fünften Jahrhunderts, als man begann, die alten Kult-
stätten wieder in Gebrauch zu nehmen, in der alten Form
weitergearbeitet wurde, während in Attika und ander-
wärts schon ein rascherer Wechsel der Bauformen vor
sich gegangen war.

b) Zwei größere Antenkapitelle von Marmor (F 643,
643 a, 644 c, 644 d Tf. 209; F644a, 644 b Tf. 207; Z644
Tf. 83 b), und zwar ein rechtes und ein linkes, zu denen
noch ein drittes Stück kommt, welches hereits von
Haussoullier gefunden und publiziert ist (Pontremoli-
Haussoullier, Didymes 48, 192 ff. Tf. 18; Mendel, Cat. d.
Sculpt. I 237; F. Noack, Baukunst d. Altert. Tf. 44. Ein
ähnliches Stück in Samos AM. 1912, 200f. Tf. 15). Die
Höhe der Kapitelle — gemessen wie die folgenden Maße
an dem jetzt in Berlin befindlichen Stück — heträgt
0,555 m, die untere Breite ist 0,840 m und die obere
würde ergänzt 1,156 m ergeben. An Stelle der altertüm-
lichen, glatten Wulste der kleinen Kapitelle sind hier mit
feinstem, plastisch ausgearbeitetem Schmuck versehene

Kymatien getreten, die wie jene in ihrer Übereinander-
folge die 0,177 m messende Vorkragung des oberen
Kapitellrandes bedingen. Den unteren Anfang der Glie-
derung bildet auch hier ein niedriger Rundstab, der als
plastischer Perlstab mit fast kugeligen Perlen und linsen-
förmigen Scheiben geformt ist; darüber folgt ein kräftig
vorgewölbtes jonisches Kyma, dessen langgestreckte,
eiförmige Blätter von dünnen Hülsenblättern eng um-
schlossen werden, zwischen denen die scharfen Lanzett-
spitzen der schlanken Zwischenblätter bis auf die Perl-
schnur hinabreichen, die so geteilt ist, daß auf jedes Eier-
stabelement zwei Perlen entfallen, also jede Eiblattachse
und jede Zwischenblattachse auf die Trennungsfuge
zweier Perlstabscheiben treffen. Über diesem jonischen
folgt ein steiles lesbisches Kyma, dessen untere Kante
horizontal etwas vor den Eierstab vorspringt, wodurch
dessen Wesenseigentümlichkeit, die über den Blättern
ein vorragendes Deckglied verlangt, entsprochen wird.
Das lesbisdie Kyma ist geziert durch eine in flachem
Relief gebildete Reihung bängender Palmetten und
Lotosblüten, bei denen die äußeren, sich mit ihrenSpitzen
herührenden Spitzhlätter der Lotosblüten die Palmetten
umrahmen wie die Hülsenblätter eines Eierstabes die Ei-
blätter. Das sich mit seinem oberen Wulst stark vor-
beugende lesbische Kyma übertrifft den unteren Eierstab
an Höhe, und über ihm folgt, mit der Unterkante seines
Grundes etwas zurücktretend, als drittes, wiederum höher
als das Iesbische Kyma gestaltetes Glied, abermals ein
stark plastischer, in seiner Formgebung dem unteren
gleichartiger Eierstab. Die Teilung dieser verschiedenen
Kymatien ist jedesmal so bemessen, daß die Zahl der
Blatteinheiten in der Kapitellbreite aufgeht und also
trotz der infolge der seitlichen Vorwölbung nach oben
stark zunehmenden Breite der Kapitellvorderseite an
den Enden der Kymatien keine halben Blätter verbleiben.

Die verschiedene, wachsende Höhe der drei Glieder be-
dingt es, daß zwischen ihren Teilungen keinerlei Bezie-
hungen bestehen, und daß die Achsen der Lotosblätter
und Palmetten ebenso verschoben über den Achsen des
unteren Eierstabes sitzen, wie die des oberen Eierstabes
über jenen.

Im Unterschied zu den kleinen Antenkapitellen bildet
dann noch eine niedrige, über den Eierstab vorragende
Abakusplatte den oberen Abschluß des ganzen Kapitells,
deren Flächen ein wenig ablaufartig vorgeneigt sind,
aber oben ohne Plättchen kantig enden.

Seitlich werden die Kymatien his unter die Deckplatte
wiederum in der gleichen Weise wie bei den kleinen Kapi-
tellen durch gewölbte Flächen begrenzt, in die sicli auch
hier drei übereinander emporwachsende Voluten schmie-
gen. Letztere decken sicli aber nun natürlich nicht mehr
mit den durch die Kymakurven bestimmten Sdinittflächen
der Kymatien, sondern sind diesen ziemlich unorganisch
aufgelegt. Die unterste Volute beginnt wie bei den kleinen
Kapitellen an der Endsdieibe desPerlstabes. DieVoluten-
gänge selbst sind jetzt nicht mehr konvex, sondern ganz
flach konkav, fast ebenflächig zwischen den dünnen
hegleitenden Rundstäben gestaltet. Die Augen zeigen
die Form einfach flacher Scheiben mit Zirkelpunkt.
Der Abakus ragt seitlich 0,158 m vor; die übrige Bil-

Verwendung.
Zeitbestimmung.
Größere jonische
Antenkapitelle

Schmuckformen

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