Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Beilage zum Diözesan-Archiv von Schwaben — 1893

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.17220#0044
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
44

Benediktinerordens — anerkanntermaßen eine der wertvollsten
Publikationen der Neuzeit — durch bedeutende finanzielle
Unterstützung ermöglichte. Nicht genug damit, läßt der heilige
Vater den die vatikanischen Archive benützenden Gelehrte»
auf alle erdenkliche Weise, so insbesondere durch die von
Pater Chile überaus praktisch eingerichtete, mehr als 40 000
Bände umfassende Nachschlagebibliothek, die sogenannten Bib-
liotheca Leonina, eine solch wirksame Förderung und Beihilfe
angedeihen, wie sie ihnen nirgendswo anders zu teil werden
dürfte. Leo XIII. hat sich durch dieses außerordentlich dankens-
werte Vorgehen, das der Krone seiner erhabenen Tugenden
und glänzenden Vorzüge eine neue Perle anreiht, nie er-
löschende Verdienste um die gesamte Geschichtswissenschaft er-
worben. Hauptsächlich sein edles, uneigennütziges Beispiel
hatte zur Folge, daß allmählich ein ganz neuer, heilsamer
Umschwung in den Ansichten und Direktiven der Archiv-
leitungen eintrat und heutzutage, mit wenigen Ausnahmen,
fast sämtliche deutschen und ausländischen Archive der unge-
hinderten' Benützung erschlossen sind. Ein Fortschritt, der
auch die Sanktion der vor wenigen Wochen in München ver-
sammelten ersten Geschichtsforscher ganz Deutschlands in
vollstem Maße gefunden hat.

Während in früheren Zeiten/ noch bis zur Mitte unseres
Jahrhunderts, ein großer Teil der deutschen Archive, ins-
besondere die kleineren Privat- und Korporationsarchive, die
aber gerade oft ungeahntes, wertvolles Geschichtsmaterial in
sich bergen, vielfach in schauderhaftem Zustande sich befanden,
ist das nun alles anders geworden.

Inhaber von Archiven, Fürsten, Städte, Standesherr-
schaften halten es heutzutage nicht nur für wünschenswert,
sondern betrachten es geradezu als Pflicht, die ihnen von den
Vorfahren überkommenen Dokumente in gehörige Ordnung und
Verwahrung, zu bringen. Während einst oft die kostbarsten
archivalifchen Schätze in irgend einer finstern Kammer, einem
dumpfen Gewölbe oder gar einem halbbedeckten Dachboden,
wo sie der zerstörenden Wirksamkeit von Feuchtigkeit, Staub,
Regen und anderen elementaren Einflüssen ganz und gar
anSgesetzt, vermoderten, werden solche jetzt säuberlich gereinigt,
chronologisch geordnet, in Papierumschläge gehüllt, die mit
Jahr, Datum und kurzer Inhaltsangabe (Regest) über-
schrieben sind, in die betreffenden Kasten und Fache eingestellt
und vom ganzen Bestand des Archivs ein Verzeichnis (Reper-
torium) angelegt.

Während zuvor der Geschichtsforscher oft Wochen, Monate,
selbst Jahre lang, ein staatliches, städtisches oder herrschaftliches
Archiv zu durchstöbern sich genötigt sah, um nur eine oder einige,
von ihm gesuchte und daselbst vermutete Urkunden zu finden, und
vielleicht nach rastlosem Suchen und mit Moderstanb geschwänger-
ten Lungen enttäuscht wieder weiterziehen mußte, wird ihm
heute an der Hand des Repertoriums in kürzester Frist und
mit größter Bereitwilligkeit über etwaiges Vorhandensein, In-
halt, Verfassung, Siegel, einer Urkunde oder anderweitigen
Aktenmaterials genauer Aufschluß erteilt.

Nur wer sich mit derartigen historischen Studien und
Arbeiten längere Zeit beschäftigt, weiß den außerordentlichen
Gewinn an Zeit, Geld und auch Gesundheit zu schätzen, den
die moderne Richtung der Archivwissenschaft dem einzelnen
Forscher heutzutage darbietet.

Im direkten Gegensatz zu früher kann ja jetzt sogar
der strebsame historische Arbeiter sein. Material oft aus einem
ferngelegenen Archiv an den Ort seiner Thätigkeit zugesandt

erhalten, sei es loco des Archivs, an dem er arbeitet, bezw.
seinen Wohnsitz hat, oder einer andern staatlichen Behörde,
und wenn er sich Informationen irgendwelcher Art oder selbst
Kopien der für seine Zwecke benützbaren Archivalien erbittet,
wird ihm von jedem staatlichen, städtischen oder privaten Archiv
das größte Entgegenkommen zu teil. Diese außerordentliche
Erleichterung und wesentliche Förderung des geschichtlichen
Studiums seitens der jetzigen Archivbehörden kann nicht genug
gewürdigt werden und wird ihre sichtbaren Früchte erst all-
mählich zeitigen und zu Tage fördern.

Nach dem bereits oben bezeichneten Maßstabe haben in
der letzten Zeit württembergische und bayerische Standesherr-
schaften, insbesondere aber eine ganze Reihe von Städten, welche
im Besitz von größeren Archiven sind, solche sichten, ordnen
und repertorisieren lassen und sich dadurch, abgesehen von der
großen Annehmlichkeit, ein schön und übersichtlich geordnetes
Stadtarchiv zu besitzen, nicht geringe Verdienste um das ge-
samte Archivwesen überhaupt erworben.

Mögen andere Städte und Standesherrschaften, welche
ihre Archivschätze, ganz und gar unbeachtet, bisher immer noch
in wirrem Durcheinander liegen gelassen, diesem Beispiele
folgen, ihnen selbst zur Ehre, zu Nutz und Frommen.

Miszellen.

Virgil als Prophet. — Der römische Dichter Publius Vir-
gilius Maro (70—19 vor Christas) galt im frühen Mittelatter
nicht bloß als arger Zauberer (siehe darüber Grüße, allgemeine
Littcratnrgeschichte, 11,2, S. 624 ff.; sowie „Beiträge zur Litteratnr und
Sage des Mittelalters", S. 27 ff.; in Deutschland beginnt die bis in
die abgelegensten Thälcr Tirols gedrungene Virgilsage vom 13. Jahr-
hundert und reicht bis zu,n 16. Jahrhundert; nii Votksmund.e änderte
sich da und dort der Name Virgilins in „Filius" f. Lilas Zabres -
Zauberer; z. B. die von Karl Bartsch heransgegebenen „Meisterliedec
der Kolmarer Handschrift", Stuttgart, 1882), sondern auch als — Seher
(vaies) und Prophet. Letztere Eigenschaft ist auf die nachfolgende Schilde-
rung in der vierten Ektoge seiner „Bucolica" des heran.b rech enden
goldenen Zeitalters zurückznfnhren, das er an die Geburt eines
Kindes des Asinius Pollio knüpft, desselben Beschützers des Dichters,
dessen Lob die dritte Ektoge gewidmet ist und dessen Namen die vierte
als lleberschrist trägt:


Ultima Cumaei venit iam carminis aetas;
Magnus ab integro saeclorum nascitur ordo.
Iam redit et Virgo, redeunt Saturnia regna;
Iam nova progenies cöelo demittitur alto.

Tu modo nascenti puero, quo ferrea primum
Desinet ac toto surget gens aurea mundo
Casta, fave, Lucina: tuus iam regnat Apollo.

Ille deum vitam accipiet, divisque videbit
Permixtos heroas, et ipse videbitur illis,
Pacatumque reget patriis virtutibus orbem .
Ubera, nee magnos metuent armenta leones.
Ipsa tibi blandos fundent cunabula flores.
Occidet et, et fallax herba veneni
Occidet; Assyrium vulgo nascetur ainomum.

U]

ht


m:

li.

Talia saeclä, suis dixerunt, currite, fusis
Concordes stabili fatorum numine Parcae.

Adspice, venturo laetantur ut omnia saeclo !

Wenn hier der Dichter einen „Helden" verheißt, der in „Frieden
de» Erdkreis beherrschen" und eine Zeit herbeifiihren werde, da das
„Schlangcngezücht und die täuschende Pflanze des Giftes sterben" und
das „Rind den gewaltig, u Löwen nicht mehr fürchten" werde; so wurde,
dieses alls ohne Bedenken für Ausfluß prophetischer Begabung gehalten
und auf Christus bezogen. Beck.

Id

Stuttgart, Buchdruckerci der Aktiengesellschaft „Deutsches Volksblatt".
 
Annotationen