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Beilage zum Diözesan-Archiv von Schwaben — 1894

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https://doi.org/10.11588/diglit.17221#0002
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Geschicke seiner Heimat und der Nachbarländer, das ganze
Leben des oberschwäbischen Volkes mit seine» Sitten und
Bräuchen, das ansgeprägte individuelle Dasein jener Zeit.
Besser, als lange Auseinandersetzungen es vermöchten, fuhren
diese Aufzeichnungen mitten hinein in ein gutes Stück geist-
lichen und auch weltlichen Lebens des vorigen Jahrhunderts,
das sich da vor uns anfthut, zeigen die mannigfachen Be-
ziehungen, die ein Reichsstift nach allen Seiten hin hatte. Da
finden wir Bittschriften um Aufnahme in das Stift, Empfeh-
lungsschreiben in gleicher Angelegenheit, Einladungen zu Primiz
und Kirchweih, Eingaben an den Papst re., Korrespondenzen
in seelsorglichen Angelegenheiten, wie Verweigerung des kirch-
lichen Begräbnisses oder der heiligen Kommunion. Noch
größere Mühe machten Kirchenban, Rechtsstreitigkeiten ec., die
Verwaltung des nicht unbedeutenden Grundbesitzes, der Wal-
dungen, Weinberge. Dann bittet wieder einer in» ein Buch,
ein armer Student um ein Viatikuui. Daneben spielen die
Wallfahrten eine nicht unwichtige Rolle. ■— Besondere Auf-
merksamkeit läßt der Pater den Händeln und Widerwärtig-
keiten, die das Stift dnrchznmachen hatte, sowie der Nachtseite
des oberschwäbischen Vvlkswesens, dem Gauner- und Ver-
brechertum , angedeihen. Diesen dunklen Vorgängen treten
wieder freundliche Bilder der verschiedensten Art, wie die Pflege
edler Gastfreundschaft, der Dialektdichter Sailer, die Bnchauer
Stiftsdamen, die Karnevalsbelustigungen zur Seite. Dann
holt er aber auch weiter ans und läßt seine Blicke über die
Grenzen von Deutschland, ja von Europa hinausschweifen und
verfolgt die Haupt- und Staatsaktionen in allen möglichen
Ländern; er meldet in einem Atemzug, daß ein neuer Kaiser,
Karl VII., gewählt ist, daß der Türke die Moskowiter an-
grcift, daß die Franzosen in Böhmen einfalle», daß die Oester-
reicher wieder einmal „Pech" gehabt haben, daß es einen
kühlen Sommer giebt, es mit den Neubauten in Schnssen-
ried so ziemlich vorwärts geht, daß der Graf v. Schcer ein
so gar »»liebenswürdiger, widerhaariger Nachbar ist, daß der
Herr Prälat im Herbst nach Mvrsburg a. B. zum „Wimmeln"
geht, wobei der Annalist, wie er dnrchblicken läßt, leider nicht
mit von der „Seefahrt" ist. In allem Durcheinander schil-
dert er mit gleicher Liebe das Kleine und das Große; allem
weiß er einen anmutsvoll belebenden und doch einfache», nir-
gends übermachten Farbenschmnck zu geben. So können wir
die Reflexe der großen Zeitgeschichte in dem engen Nahmen
eines kleinen Gemeinwesens beschauen; Bürger, Bauern und
Beamte, Adel und Geistlichkeit, Volk und Soldaten, ehrliche
Leute und Gauner, die Tage des Friedens und die Drangsale
des Krieges werden uns in der Besonderheit ihres Wesens
vorgeführt und ziehen als lebende Bilder in raschem bunten
Wechsel an uns vorüber — alles unmittelbar, frisch von der
Quelle und mit jener ansmalenden Behaglichkeit und mit Ab-
wechslung machenden Intermezzos, wie mit dem Hervortreten
origineller Persönlichkeiten, spassigen Geschichten vorgetragen,
welche solchen Niederschriften kleiner Leute einen eigentümlichen
Reiz verleihen. Wie ein sanfter Atem kommt uns daraus die
bürgerliche Ruhe längst vergangener Jahre entgegen. Wir
sehen, wie eigentümlich, wie still es damals hier zu Lande
noch znging, wie wenig man sich aufregte, wie man in der
im Vergleich zu unseren heutigen Verkehrsmitteln fast ver-
kehrslos scheinenden Welt des vorige» Jahrhunderts ungleich
mehr auf seine vier Pfähle, seine vier Wände, kurz, ans sich
selbst angewiesen war. Dabei statt der Spannung und Hast,
die unserem heutigen Leben durch die Bedeutung der mate-
riellen Interessen und die in ihrem Dienste arbeitenden großen
Unternehmungen, durch unsere politischen und nationalen,

unsere sozialen und religiösen Kämpfe anhaften, eine nicht
bloß idyllische, sondern schon mehr paradiesisch stagnierende
Ruhe. Wir erleben die Dinge fast mit, wünschen sie nicht
immer zurück, aber empfinden das Wohlthuende lebhaft, was
in ihnen lag, fast als beneideten wir diese Vergangenheit um
manches, was sie in sich schloß, und scheiden von dem letzten
Blatte mit dem Gefühle, bei angenehmer Lektüre etwas er-
fahren zu haben, das als ein treuer, liebenswürdiger Spiegel
der Zeit, in welcher der Chronist lebte und schrieb, betrachtet
werden darf; denn das Beschränkte, Kleine dieser Erlebnisse
und der Art ihrer Darstellung entspricht durchaus dem Dnrch-
schnittscharakter des süddeutschen Lebens vor circa 160
Jahren.

In diesem Sinne wollen sowohl diese Erinnerungen als
auch ihre Urheber und Zeitgenossen anfgefaßt und beurteilt
sein — die einen als unmittelbar frisch von der Leber weg
in der Anschauungsweise des 18. Jahrhunderts niedergelegte
Herzensergüsse, die anderen als Kinder ihrer Zeit; lasse man
sich nicht verleiten, über damalige Zeiten und Zustände, Per-
sonen und Einrichtungen zu sehr den Stab zu brechen, hatten
sie doch neben allem Weltlichen und Aeußerlichen auch noch
einen guten Kern. Wer einen anderen der Sache nicht an-
gemessenen Maßstab anlegt, der wird sich vielleicht nicht be-
friedigt fühlen und beraubt sich dadurch des Vergnügens, daö
der bei aller Einfachheit der Darstellnngsmittel doch reiebe In-
halt gewährt. Die Aufzeichnungen umfassen den Zeitraum
von 1731—1756, von welchen wir zunächst die erste Serie
von 1731—1740 nach nachstehender Uebersicht folgen lassen:

Ein Ko met am H imme l — Scheer'sche H än-
del — eine rigorose Klosterresolution durch den
„ob erschw ä bi sch e n So lim a n" — ei » Prälat im Exil
itiib ein neuer am Ruder, der Humor hat — Ce-
r emo Hielt Staats- itiib andere Visiten. — Wie
es bei einer ho chpreiölichen D i r e k t o r s w a h l z n-
g e h t. — Allerhand Käufe und V e r k ä n f e. — N o-
vizenaufnahme in alten Zeiten. — Nach „Stein-
Hansen zur schmerzhaften Mutter ans d c r S a n l".
B c n r o n e r Händel — eine Ladung vor Gottes
Thron und ein gutes Geschäft mit allerlei „Ver-
ehrungen" — die Sch. Bureaukratie —v o n einem
frommen Oberamtman», der ins Kloster geht. —
Das Frey' scke Geschlecht — ein Stück Geschlechter-
geschichte: die Familie» v. Frey (ein Oberamt-
mann F., das „Schussenrieder Faktotum": und
Belli de Pino —- d i e S t i ftsd a in' Ther es und ein
jovialerPrälat — dieBucha it ’ s ch c H e r r l i ch k e i t „e i n
glänzendes Elend." — Mehreres v o in ,,G'spiel"
und ein feines Scheibenschießen dazu. — M»rd-,
Räuber-, Spuk-, Geister- und Gespenster-Ge-
schichten. — Allerhand Trauriges und Schau-
riges. — T o d es - u nd U » gü cks f ä l l e. — Böse Wetter-
u n b soustige auffallende Naturerscheiuunge». —

Es ist im Hochsommer, int August (am 27., dem Tage
des hl- Kirchenvaters Augustin) des Jahres 1731. Ein
prächtiges schreckvolles Phänomen — wohl nichts anderes als
ein Komet — steht auf einmal nachts am Himmel; erschreckt
fahren Konventuale», Novizen und Studenten :c. aus ihrer
Ruhe ans und drängen sich zu so ungewohnter Stunde znin
Observatorium; andere wandeln zum „ober» Thor", um sich
von der Anhöhe ans das Natnrschauspiel besser betrachten zu
können; es stand direkt ober der „alten Schmiede" der Kellerei
zu in Form einer 1 V2 Klafter hohen runden Säul, mit hellem
und großem Glanz umgeben, worüber wir alle, die dieses
 
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