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Dittmann, Lorenz; Kleint, Boris [Hrsg.]
Boris Kleint — Bongers, 1984

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https://doi.org/10.11588/diglit.31169#0033
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sion brachte Michel Seuphor in seinem vortrefflichen Kommentar zu Kleints Ausstellungen »Plastische
Bilder« in der Frankfurter Galerie Franck 1961 und in der Pariser »Galerie du Damier« 1963 zur Sprache.
Seuphor schrieb unter dem 30. November 1960:

»Les oeuvres de Boris Kleint sont de celles qui parlent ä peu de personnes, et plus facilement ä celles qui
n’ont pas d’oreille pour les faciles eclats de l’aaualite. 11 y a aujourd’hui un art inactuel qui est cependant
parfaitement moderne dans le sens de la profondeur et de la permanence.

J’avoue que j’ai ete saisi d’une rare emotion devant certains reliefs de Kleint. L’emotion du rare precise-
ment. Rare par sa volontaire pauvrete, par son humilite. Voici un peintre qui ose retourner aux formes les
plus elementaires, qui ensuite les repete avex de tres legeres variations et qui presente le tout dans une cou-
leur sourde comme parlant ä mi-voix. C’est le contrepied, tres exactement, du bluff et des agressifs spectac-
les de la peinture actuelle.

Kleint ne provoque jamais, il attend. C’est une attitude que j’aime. Affirmer l’etre dans un aussi complet
depouillement est un acte. Un acte en quelque sorte metaphysique. Une telle attente a, pour moi, une at-
traaion tres forte. J’ai envie de me joindre au peintre, d’attendre avec lui.«

Als Werk-Beispiele erschienen auf dem Faltblatt zu dieser Ausstellung das »Stehende Quadrat« von 1951,
Farbtafel 39, Abb. 148 das Glasbild von 1954, die »Flächenvariation« von 1958, ein Glasbild von 1959, die »Weiße Reihe« von
Tafel 44 und 48 1959, die »Blöcke auf Gelb« von 1960 und das »Kugelbild tiefblau« von 1960 .

Ein zweites Mal äußerte sich dieser bedeutende Kritiker und Theoretiker zu Werken Kleints. In seinem
Aufsatz »Reliefs construits«, erschienen in der Zeitschrift »XX 6 Siecle« (XXIII Annee, No 16, Mai 1961,
dem »Renouveau du Relief« gewidmet) gab Seuphor einen kurzen Überblick über die Geschichte des kon-
struktivistischen Reliefs und kam dabei abschließend auch auf Kleint zu sprechen, dessen Schaffen er mit
Tafel 43 der »Großen Gruppe in Grau« von 1959 belegte. Kleints Werk verglich er mit einer Arbeit des Schweizers
Gottfried Honegger und sah beide bestimmt von »... l’extreme reduction des moyens qui va ... jusqu’ä la
rarefication oü seuls peuvent suivre les queteurs d’absolu«. Dann wies Seuphor auf Kleints Ausstellung von
»Plastischen Bildern« in der Galerie Franck von 1961 hin: »Kleint vient d’exposer ä Francfort des peintures
monochromes ä reliefs de formes identiques dont la simple succession doit etre un champ discret, mais suf-
fisant pour l’evenement de l’ombre et de la lumiere.« Und Seuphor beschloß seine Ausführungen mit ei-
nem Ausblick auf die Zukunft der konstruktivistischen Kunst, die er im Schaffen Honeggers wie Kleints
gewährleistet sah: »Les reliefs de Kleint et d’Honegger prouvent bien que l’art constructif n’est pas mort,
comme cenains le crierent avec tant d’assurance il y a quelques annees. La geometrie la plus elementaire est
toujours un art habitable. II suffisait de lui donner de l’esprit c’est-ä-dire de l’habiter.«

Seuphors Texte sind in zweierlei Hinsicht bemerkenswert. Zum einen bekunden sie, wie wenig »aktuell«,
wie eigenständig also, diesem aufmerksamen Betrachter der künstlerischen Entwicklungen die Werke
Kleints erschienen. Zum anderen geben sie wertvolle Hinweise auf eine »metaphysische« Dimension der
Kunst Kleints, die er in der Haltung des »Wartens« begründet sah.

Um diesen Hinweis Seuphors zu verstehen, muß man dessen kunsttheoretisches Hauptwerk, sein Buch
»Le style et le cri« von 1965 heranziehen. In dem darin aufgenommenen, erstmals 1953 erschienenen Essay
»Mission spirituelle de l’art« schrieb Seuphor: »Ich glaube, daß das religiöse Gefühl bei allen Religionen
vorerst in einem Stillehalten vor dem Leben besteht, in einem langen Aufhorchen, in einer fragenden und
erwartenden Stellungnahme, die jede körperliche Aktivität aufhebt und damit die Bedingung zu einer Tä-
tigkeit ganz anderer Natur schafft, die wir inneres oder geistiges Leben nennen. Nun ist die Kunst, ganz
besonders die abstrakte Kunst, der Ausdruck dieses aufhorchenden Lebens, dieses freien Lebens des Gei-
stes, dieser Kontemplation .. .« 41

Die wenigen diese Region betreffenden Aussagen Kleints lassen sich mit Seuphors Auffassung im Grund-
satz vereinen. In die leidenschaftlichen Diskussionen des Darmstädter Gesprächs von 1950 »Das Men-
schenbild in unserer Zeit« schaltete sich Kleint mehrmals ein. Aufschlußreich für unseren Zusammenhang
29 ist folgende Äußerung: »Um eine Art Bekenntnis abzulegen, will ich sagen, daß in der sogenannten ‘ab-
 
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