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Eggers, Friedrich [Editor]
Deutsches Kunstblatt <Stuttgart>: Zeitschrift für bildende Kunst, Baukunst und Kunsthandwerk ; Organ der deutschen Kunstvereine &. &. — 7.1856

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https://doi.org/10.11588/diglit.1200#0010
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gen Bestrebungen blicken — im Laufe der Jahre eine Entwickelung
durchgemacht, die uns naturgemäß und allmählig auf das jetzige
Stadium geführt hat. Je mehr sich unser Leserkreis erweiterte,
desto fleißiger mußten wir den Prägestock allgemein gangbarer Münze
handhaben und werden es noch immer mehr thun müssen, ohne daß
wir dabei die Strenge unserer Grundsätze und der Würde der Sache
etwas zu vergeben meinen.

Ist aber, wie nicht zu läugnen steht, eine eingehendere und
vorzugsweise Beschäftigung mit den Werken der bildenden Kunst eine
Forderung der Gegenwart und wendet sie sich dabei auch zunächst und
zumeist mit ihrem Interesse an die in ihr entstehenden Schöpfungen
und Leistungen, so verlangt sie doch auch zugleich, um zum klaren
Verständniß ihrer selbst zu kommen, diejenigen Rückblicke aus die
Vergangenheit, welche ihr das heutige Warum beantworten. Diese
Antwort zu geben reicht bloße Gelehrsamkeit nicht aus, dazu bedarf
es ihrer wissenschaftlichen Betrachtung und vernünftigen Anwendung.
Unter einer solchen verstehen wir die Einführung ihrer Resultate in
das Leben. Gegen das Leben ist die Wissenschaft lange nicht so
spröde, wie die Gelehrsamkeit und versteht es, populärer zu sein,
als diese. Denn die Wissenschaft ragt mit ihrem Dombau weit in
das Land und über die Bauhütten der Gelehrten hinaus, aus de-
nen sie allerdings dankbar das Material entgegengenommen hat.

Ohne eine solche Bauhütte wird unser Blatt nicht sein kön-
nen; denn nicht jede Kenntniß eignet sich zur sofortigen Mittheilung
an den gebildeten Leserkreis, Einiges gewinnt nur Interesse im Zu-
fammenhange mit dem Ganzen, Anderes enthält noch taubes Erz
und will gesichtet sein. Solche Sichtung geschieht nicht draußen vor-
dem versammelten Volke, sondern besser drinnen vor dem Kreise der
Sachverständigen. Diese sollen den auszudehnenden Raum des Aug-
ments, welches wir bisher — ziemlich uneigentlich — unser Bei-
blatt genannt haben, künftig für sich Vorbehalten sehen, der größere
Kreis unserer Leser mag an der Thür dieser Bauhütte vorübergehn
und soll hoffentlich ohnedies seine Rechnung finden, indem wir uns
in gesteigerter Sorgfalt bemühen werden, die Vermittler zu sein
zwischen der gebildeten und gelehrten Welt, das mächtige Bil-
dungsmittel, welches in der Kunst und der Beschäftigung mit ihrer
Wissenschaft liegt, herausarbeiten und dadurch sie selber mittelbar
fördern zu helfen; denn nicht in den Künstlern allein, sondern auch
in den von ihnen Empfangenden, darin, daß sie zu empfangen ver-
stehen, liegt die künstlerische Höhe einer Nation.

Es sei uns bei dieser Gelegenheit gestattet, ein Wort über die
Handhabung der Kritik zu sagen, welche eine so wichtige Stelle in
einem Journal einnimmt. So alt die Kritik ist, so alt ist die Be-
hauptung, daß sie im Argen liege und die besten Kritiker sind von
ihrer Zeit am wenigsten geschätzt worden, oder inan hat ihrer Zeit
den Vorwurf gemacht, daß sie zu kritisch sei. Es liegt in der
menschlichen Natur, daß die künstlerischen Zeitgenossen die kritischen
desto gerechter finden, je mehr diese in der Lage sind, das ange-
nehme Amt anerkennender Kritik zu vollziehen, sie werden dagegen
leicht ungerecht, einseitig und verletzend genannt, wenn sie sich gegen
die Werke und Richtungen der Zeitgenossen ablehnend verhalten
müssen. Und die dann am lautesten nach einem Lessing rufen, wä-
ren die Ersten, die ihn verläugneten und verketzerten, wenn er er-
schiene. Und meinen sie denn wirklich, daß sein Erbe von dem heu-
tigen Geschlechte so durchaus nicht angetreten worden.wäre?

Wir haben niemals die Absicht gehabt, Rhadamantus zu spie-
len oder die Abstractionsbinde vor die Augen und die Themiswage
in die Hand zu nehmen. Wir mögen uns gern das Recht Vorbe-
halten, mit dem Herzen dabei zu sein und lieben und hassen zu
dürfen, und mögen uns weder unsere Begeisterung durch kleine
Schwächen, noch unsere Abneigung durch einige gute Hälmchen ver-
kümmern lassen. Denn wenn wir auch die Kenntniß der mannigfal-

tigen Einzelheiten, die Vertrautheit mit Theorie und Technik als einen
nothwendigen kritischen Apparat anerkennen Nüssen, so scheint uns
doch nicht weniger nothwendig der Besitz ein? künstlerischen, recep-
tiv gearteten Phantasie zu sein und in diese, ihrer receptiven Na-
tur finden wir einige Bürgschaft und Gewäh, für die durch Liebe
und Haß scheinbar gefährdete Objectivität des Urtheils. So hoffen
wir nicht zu den „Fertigen, denen nichts recht zu machen ist," son-
dern mit zu den „dankbaren Werdenden" zu Khören.

Non drr Velicrdr. *)

Wir sind schon in einem früheren Vo,rtuge darauf geführt
worden, die Tanzkunst mit den bildenden Künsten zi vergleichen. Beide
haben Gemüthsbewegungen und Begebenheiten dirch Geberden aus-
zudrücken. Und zwar scheint die Tanzkunst der Bildhauerei näher
zu stehen, als der Malerei, weil die Skulptur es ebenfalls mit dem
wirklich runden Körper zu thun hat, der sich voi allen Seiten der
Ansicht darbietet. ■

Es versteht sich von selber, daß wir hier mter Tanzkunst die
Pantomime verstehen, welche nicht bloß bei den Aten, sondern auch
bei neueren guten Tanzmeistern den wesentlichen ^heil ihrer Kunst
ausmacht. Von der übrigen Technik dieser Kunst zu reden, so ist
es allerdings erforderlich, daß jedem Tanzschüler alle zur Schule
gehörigen Schritte, Stellungen, Touren und Springe auf's voll-
kommenste beigebracht werden. Denn einmal ist zr bedenken, daß
die Geschicklichkeit, welche beim Bildhauer in seiner Hand liegt und
sich an seinem Werke manifestiren muß, beim Täizer im ganzen
Körper liegen und sich an ihm selber zeigen soll, ta er sich selber
Material ist, so daß er nur bei Gewandtheit und Beherrschung sei-
nes Körpers den Inhalt einer Pantomime vortrefflich msführen kann.
Zweitens aber hat die Sache auch ihre sinnliche Seit;, welche ledig-
lich das für schöne Formen empfängliche Auge erfreut Machen wir
uns das an der Skulptur deutlich. Wir kennen dü Reliefs, die
man im hetrurischen Styl gearbeitet nennt, wo Götllr und Göttin-
nen in kleinen Zwischenräumen, im Profil gesehen auf den Zehen
einherschreiten, in Gewändern von schön geordneten und geglätteten
Falten. Hier hat der äußere Sinn schon in der dargestellten Be-
wegung eine wohlthuende Befriedigung, ehe man auf dm Inhalt der
Darstellung sieht. Und so hat auch die wichtigste und erhabenste
Darstellung in der Kunst neben dem höhern Anspruch, den wir an
sie stellen, die Leidenschaften und Gemüthsbewegungen nachzuahmen
und den inneren Sinn zu erfreuen und zu erregen, auch den der
Schönheit bedürftigen äußern Sinn zu befriedigen.

Die Tanzkunst und die bildenden Künste sind stumm. Ohne
Wort, ja ohne einen Laut müssen sie sich dem Zuschauer verständ-
lich machen. Die Tanzkunst hat den Vorzug der Bewegung. Der
Tänzer giebt das Beginnen, den Fortschritt und den Schluß der
Handlung; der Bildner hat nur einen Moment, sein Werk ist eine
erstarrte Bewegung.

Giebt der Pantomime die Handlung richtig und im Character,
so muß seine Stellung und Geberde dem Bildner zum Modell und
Muster dienen können. Ist des Bildners Werk gut, so muß das
Gleiche für den Pantomimen stattfinden. In der Thal dienen die

*) Durch die Güte des Herrn Felix Schadow wurde uns die Einsicht in
ein Tagebuch des Meisters G. Schadow gegönnt, in welches er mehr oder
weniger anögeführte Skizzen zu seinen akademischen Vorträgen verzeichnet hat.
Es ist uns erlaubt worden, Mittheilungen daraus zu machen und wir sind also
in der begünstigten Lage, den würdigen Künstler, dessen Leben wir Jahrg. 1850.
Nr. 11 folg, zu beschreiben versucht haben, sich selber als Schutzpatron dieses
siebenten Jahrgangs auch durch die Schrift vertreten lassen zu können. D. Red.
 
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