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Eggers, Friedrich [Hrsg.]
Deutsches Kunstblatt <Stuttgart>: Zeitschrift für bildende Kunst, Baukunst und Kunsthandwerk ; Organ der deutschen Kunstvereine &. &. — 7.1856

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https://doi.org/10.11588/diglit.1200#0011
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antiken Vasengemälde in diesem Sinne unfern heutigen guten Tanz-
meistern zum Vorbild, wie zwei unserer berühmtesten, Vigone und Gor-
dot, beweisen, welche außerdem früher Maler waren und also den Sinn
für ein edleres, künstlerisches Bezeigen mitbrachten. Umgekehrt ha-
ben viele Vasengemälde das Ansehn, als wären sie mit dem Wurf
der Gewandung und den ausdrucksvollen Attitüden getanzte Scenen.

Blicken wir nun auf den Inhalt der Darstellungen überhaupt,
so wissen wir, daß die hier in Rede stehenden Künste ihn aus der
Volkssage und Geschichte nehmen. Uns Neueren ist unsere heilige
Geschichte und die Mythe der Alten gleich geläufig. Wir bedienen
uns daher der Letzteren bei pantomimischen Darstellungen auf dem
Theater, da wir hier die biblischen Geschichten ausgeschlossen ha-
ben. Freilich würden sie auch hier für die Allgemeinverständlichkeit
den Vorzug vor dem heidnischen Mythus haben, aber wir sind ein-
mal gewohnt auf der Bühne, insbesondere bei der Pantomime,
das für eine Profanation oder Entweihung der heiligen Dinge zu
betrachten, was wir bei den bildenden Künsten gerade als eine Ver-
herrlichung derselben ansehn.

Es muß also, damit die Geberde ohne Wort um so leichter
verständlich werde, der Zuschauer die Fabel oder die Geschichte wis-
sen. Hierzu hilft nun, daß er die darin austretenden Personen schon
an ihrem Aeußeren erkenne und dafür hat wieder die bildende Kunst
gesorgt, daß sowohl für die antike Götter- und Heroenwelt, als auch
für die christliche Mythe und die Personen der heiligen Schrift be-
stimmte Typen herausgearbeitet worden sind, denen sogar gewisse
Geberden als eigenthümlich zukommen. Es sei hier daran erinnert,
was ich schon in einem früheren Vortrage erwähnt habe, daß das
bewegliche italienische Volk sich für seine Komödie bestimmte Eha-
raktere geschaffen habe. Da ist der Pantaleone, der geizige, miß-
trauische, verliebte Alte, der bald als Vater, bald als Vormund er-
scheint, immer aber in derselben Bekleidung, mit demselben Gang
und derselben Haltung. Der Dottore ist der ewige Pedant. Har-
lekin ist zaghaft und verliebt, voll Sprünge und Leben, der Aushel-
fer in verzweifelten Fällen. Der Capitano, ein sich tapfer anstellen-
der Nebenbuhler, der Pierrot, ein Tölpel, Pulcinella, ein buntscheckiger
Witzbold, Colombine, eine Schöne und deren Duenna. Mit diesen
bestimmten Eharakteren, die immer dasselbe Costüm und Portamento
hatten, konnte man täglich eine andere und verständliche Pantomime
geben. So hatte auch unser deutsches Puppenspiel lange Zeit sei-
nen Hanswurst, seinen Peter von Meißen, seinen Schwaben, seinen
Eisenfresser, Bramarbas u. s. w.

Der Pantomime nun und der bildende Künstler, Beide gebun-
den, ohne Sprache Gemüthsbewegungen auszudrücken kommen auf
jene ursprüngliche und erste Art des Ausdrucks der Kinder, die noch
nicht reden. Ihr Begehren ist das Ausstrecken einer oder beider
Hände, ihre Abneigung ist, je nach dem Grade eine Wegwendung
des Gesichts oder ein Umdrehen des ganzen Körpers. Aehnlich hel-
fen sich Personen, welche verschiedene Sprachen reden und einander
durch das Wort nicht verstehen, durch die Geberde.

Wo die Geberde von der Rede begleitet wird, ist sie meist eher
da, als diese. Beim Warnen ist der Zeigefinger erhoben, ehe die
warnenden Worte gesprochen sind; beim Drohen die Faust eher ge-
ballt; wer ein gefülltes Glas begehrt, reicht das leere dar, ehe der
Mund das Begehren ausgesprochen hat; das Nicken, Kopfschütteln,
Mundzusammenziehn um den guten Geschmack zu preisen, das Zu-
rückbiegen des oberen Körpers, um Ekel oder Abscheu auszudrückeu,
geschieht eher und schneller, als die dazu gehörige Rede erfolgt.

Neben diesen natürlichen Geberden spielen die conventionellen
eine wichtige Rolle. Zu den Zeilen des Kaiser Augustus, als die
beiden Pantomimen Bathyll und Pylades, welchen von Kaiser und
Volk eine grenzenlose Bewunderung gezollt wurde, blühten, als so
viel Unfug durch den Tanz entstand, daß alle Pantomimen öfters

verbannt wurden, um später immer mit um so größerem Triumphe
zurückzukehren, als die pantomimischen Tänze ein Studium für die
vornehmeren Familien wurden, damals hielten die Tänzer Vorträge,
in welchen die Bedeutung der Zeichen und Geberden gelehrt wur-
den. Senatoren selbst traten aus Leidenschaft für diese Kunst auf;
es mußten Reichsgesetze gegeben werden, um dies zu verhindern und
doch fiel diese Tanzwuth erst mit dem römischen Reiche selbst. —
Die Geschichte erzählt, daß unter Hieron, dem Tyrannen von Sy-
rakus, conventionelle Geberden aufkamen, weil diejenigen, welche mit
einander redeten, ihm schon verdächtig wurden. Bei der eingeschlos-
senen Erziehung der Töchter in Italien haben die jungen Leute Zei-
chen, wodurch sie bei Entfernungen und von den Dächern mit ein-
ander sich verständigen. Die Geberden der Taubstummen sind
meistentheils conventionelle.

Sulzer in seiner Theorie der schönen Künste äußert den
Wunsch: zeichnende Künstler oder selbst eine Kunst-Akademie möchte
sich damit beschäftigen, Beobachtungen über die Geberden in Zeich-
nungen zu sammeln und so eine eigentliche Lehre darüber aufzu-
stellen. Zur Erfüllung dieses Wunsches hat Engel einen vortreff-
lichen Anfang mit seinen Ideen zu einer Mimik gemacht.

So wie die Mimik die gesteigerte Rede ist, so ist der Tan;
die gesteigerte Geberde.

Wir wollen nun auf die unterschiedliche Darstellungsweise der
Pantomimen und der bildenden Künstler näher eingehen.

Bei den Pantomimen der Alten fiel die Mimik weg und die
Darsteller konnten nur durch die Geberden Eindruck machen. Denn
wegen der großen Entfernung der Zuschauersitze von der Bühne,
welche die Wahrnehmung der Gesichtszüge nicht gestattete, trugen sie
Masken. Diese Sitte, beim theatralischen Tanze Masken zu tra-
gen, ist noch bis vor ungefähr 40 Jahren beibehalten worden und
in der großen französischen Encyclopädie kommen Einwürfe dagegen
vor. Indessen wechselten die alten Pantomimen bei demselben Cha-
rakter in den verschiedenen Akten die Masken, je nachdem die Be-
gebenheit eine Veränderung der Gesichtszüge veranlaßt hatte. Es
wird berichtet, daß die Masken der Pantomimen lieblicher sein durf-
ten, als die der Schauspieler, welche um des vernehmlicheren Schal-
les halber aufgesperrte Mäuler haben mußten.

Bei uns, wo die große Entfernung der Zuschauer von der
Bühne wegsällt, so daß sic die natürlichen Gesichtszüge wahrnehmen
können, gäbe es für den Pantomimen ein Mittel des Ausdrucks
mehr. Hierdurch würde zwischen der Darstellungsweise des Tänzers
und des bildenden Künstlers eine große Annäherung entstehen, der-
gestalt, daß sich der Bildner nur den darstellbaren Moment zu mer-
ken hätte, wo ihm der Tänzer ganz Muster sein könnte. Von un-
serer Bühne kann ich hier freilich kein Beispiel als Muster hernehmen,
weil die Tänze hier in einem Geiste ausgeführt werden, der von
dem, was ein bildender Künstler begehrt, allzu entfernt ist. Was
mir in dieser Beziehung noch am nächsten an die Erfordernisse der
Kunst anreichend vorgekommen ist, war die zum Genesungsfest des
Prinzen Ferdinand vom Hofrath Hirt angeordnete und von Dilet-
tanten ausgeführte Pantomime: Dädalus und seine Statuen. Hier
grenzten die Gestalten mitunter an das Idealische; das Kostüm, der
Faltenwurf der Gewandungen war musterhaft. Die Gruppen, nock-
unbelebt schon mit wahrer künstlerischer Auswahl gestellt, waren nach
ihrer Belebung durch die Minerva in ihren Bewegungen nach dem
Zeitmaße der Musik nicht nur schön, sondern auch dem Charakter
angemessen, und ich glaube, daß kein bildender Künstler Bedenken
getragen haben würde, sie so nachzuahmen.

Nun gehe ich iu's Theater: Es wird das Ballet von Alexan-
der und Campaspe gegeben; geübte Tänzer führen es aus. Ich sehe
in der That geschickte Künstler, ich bemerke die Verlegenheit des
Apelles, die Schönheit seines Vorbildes zu erreichen, das Entstehen
 
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