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Eggers, Friedrich [Hrsg.]
Deutsches Kunstblatt <Stuttgart>: Zeitschrift für bildende Kunst, Baukunst und Kunsthandwerk ; Organ der deutschen Kunstvereine &. &. — 7.1856

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https://doi.org/10.11588/diglit.1200#0237
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226

Malerei gerade den entgegengesetzten Weg verfolgt, und z. B. zu
den einfachsten Scenen häuslichen Glückes mitunter Wallensteiner
Hüte und Koller, oder Puder und Manchetten geborgt hat, gleich-
sam als müsse die Nummer des Katalogs durchaus von einem chro-
nologischen Datum begleitet sein. Hier ist also schon auf der einen
Seite ein Verdienst, nämlich der Prinzipientreue, auf der andern
zwar nicht das Gegentheil davon, aber doch die Gefahr eines Abwegs.

Andrerseits fehlt, was kein Verdienst ist, der Sculptur mit
dem Colorit ein Hanptelement aller individuellen Erscheinung. Wer
jemals beachtet hat, welche Veränderungen in dem Aussehen eines
Menschen nicht sowohl die Blässe der Furcht, die Röthe der Schaam
oder des Unwillens (denn diese Affekte ändern auch die Form), als
ganz äußerliche Zuthaten, wie Schminke, gepudertes oder dunkelge-
färbtes Haar hervorbringen können, wird begreifen, welcher Fülle
und Mannigfaltigkeit von Eindrücken die Plastik allein aus diesem
Felde entsagen muß, wie sie schon durch das eine Moment gebiete-
risch zur Darstellung des Allgemeinen, Bleibenden gezwungen wird.
Dem Letztern widerspricht nicht einmal, was wir neulich für die
Polychromie gesagt; auch wo man der Sculptur Farbe verstattet,
wird es immer nur eine allgemeine, typische sein, die wenig über
eine einfache Unterscheidung der Fleisch-, Haar- und Gewandpartien
hinausgeht. Vergleicht damit, wenn Ihr wollt, die Carnation Ti-
zians, den Schmelz des Correggio oder die Energie Spagnoletto's!
— Es ist aber nicht nur die Zusammenstellung und Stimmung der
Farben ein unerschöpfliches Feld für die „Specialität", ja vielleicht
dasjenige, wo sie am meisten ästhetisch berechtigt ist, wie wir denn
ja die alten wie die neuen Schulen und Meister am meisten und
am leichtesten durch's Colorit zu erkennen und zu unterscheiden pfle-
gen. Sondern in mehr materieller Hinsicht ist schon ihr „Auftrag"
eine Quelle der größten Verschiedenheiten, und in neuester Zeit ein
Gegenstand des höchsten Raffinements, des seltsamsten Ehrgeizes, —
bald sanft und Verblasen, bald wild und derb; hier schlüpfrig wie
eine Auster, dort körnig und rauh wie eine Brotrinde. Hier giebt
es nur Einen Gegenstand zum Vergleich, es sind die „Specialitäten"
der heutigen musikalischen Virtuosen. „Virtuosität" — da wir das
verrufene Wort einmal genannt, — und Specialität sind zwar nicht
gerade Eins und dasselbe, aber fast unzertrennlich, und ihr Gemein-
samstes die Bevorzugung der Technik vor dem ideellen Gehalt, der
Oberfläche vor dem Inhalte.

Wir haben diesen Punkt, was die Malerei betrisst, schon frü-
her einmal mit der Bemerkung berührt, daß hier eine gewisse be-
denkliche Annäherung dieser Kunst an die Sculptur erscheine. Der
Letztern ist es ohne Zweifel angemessen, durch die Behandlung das
Vließ der Thiere, die Zartheit der menschlichen Haut und Aehnllches
zu uuterscheiden, hingegen scheint es nicht ganz richtig im Prinzip,
dergleichen auf ganz ähnliche Art, statt durch Farbentöne und Licht-
abstufungen in der Malerei darzustellcn. Nun kann aber auch die
Plastik (und dies ist der Grund, warum wir das Letzte hier noch
einmal aufnehmen) in solcher Behandlung der Oberfläche das Maß
überschreiten, und wenn sie's nur in einzelnen Fällen der Verirrung
gethan, so ist hier nicht das unbewußte und negative Verdienst, das
Nichtgekonnte unterlassen zu haben, sondern das wirkliche, den wah-
ren Prinzipien des eigenen Wesens treuer geblieben zu sein, als die
heutige Malerei sich überall rühmen darf. Vielleicht giebt es auch
Virtuosen in der Sculptur, aber es sind nur krankhafte Ausnahinen.
Im Ganzen läßt allerdings die Gleichmäßigkeit des Materials, lassen
die immerhin bedeutenden technischen Schwierigkeiten, die sich bei
jedem Werke wiederholen, gewissenloses Pfuschen nicht so leicht zu,
— daher auch das Fernbleiben des Dilettantismus. Aber es bleibt
für Leichtsinn und Manier immer noch ein gar weites Feld, und
wenn die Sculptur reicher ist an ewigen Vorbildern aus dem Alter-
thum, als die Malerei, so hat es doch Zeiten gegeben, wo dieselben

aufs sreventlichste verschmäht wurden. Das letztere ist der moder-
nen Sculptur nicht nachzusagen.

Wenn wir im Vorhergehenden die Vorzüge der letztern, im
Vergleich zur modernen Malerei, auf das richtige Maaß des Ver-
dienstes zurückzuführen suchten, so haben wir zugleich die andere ver-
theidigt, die sich in ihrem weiteren Gebiet, zugleich beweglicher von
Natur, doppelt leichter verirren kann. Ja, wenn dort die Einfach-
heit, so kann hier auch die Vielseitigkeit ein Verdienst sein, — und
ist es auch. Wohl liegt hier die Frage nicht weit ab, welche von
beiden Künsten in der Gegenwart am weitesten vorgeschritten sei.
Aber wer will sie beantworten? Es handelt sich ja, Gottlob, nicht
um ein Abgeschlossenes, nicht um gepreßte Blumen im Herbarium
der Geschichte, sondern um Gewächse voll frischen Lebens, die täglich
neue Blüthen treiben, und jedes neuentstehende Meisterwerk kann
den Richterspruch der voreiligen Mitwelt umstimmen.

Sei uns nun zum Schluß dieser Betrachtungen noch ein Rück-
blick auf ihren ersten Ausgangspunkt vergönnt. Haben wir denn,
könnte man uns fragen, erwiesen, daß Sculptur und Malerei sich
gleichstehen, oder daß etwa die Eine nachstehe? Vielleicht weder das
Eine noch das Andere! Aber um aufrichtig zu sein, wir halten
auch diese Rangfrage nicht für die wichtigste. Mögen Andere sie ent-
scheiden; unser Zweck war, die beiden schönen Schwestern nebenein-
ander zu betrachten. Auch im Bogen des Himmels, in den Farben-
wellen des Lichts ist eine Rangordnung, unverrückbar, wie Keine.
Feuerfarbe folgt nach dem Roth, und dem Gelben das Grün, aber
sie sind darum nicht minder schön, als jene, und das entzückte Auge
mag von Allen Keine entbehren.

Die biblischen Lmidschastsbildcr von I. W. Schirmer.

.

Seit einigen Wochen erfreut sich schon das Berliner Publikum
an den biblischen Landschasten des Meisters, deren öffentliche Aus-
stellung wir bereits in Nr. 16 zugesagt hatten. Noch andere Kunst-
stätten des Vaterlandes, namentlich Düsseldorf, werden Gelegenheit
haben, sie zur Schau zu stellen und so ist es gewiß an der Zeit,
sowohl für diejenigen, welche sie gesehen haben, als auch für die,
welche sie sehen werden, etwas näher auf diese ausgezeichneten Kunst-
werke einzugehen.

Sie bestehen in 26 großen Blättern (3 Fuß 1 Zoll lang,
2 Fuß 4 Zoll hoch), welche mit der Kohle gezeichnet sind. Die
Meisterschaft Schirmers in der Anwendung dieses schlichtesten Ma-
terials ist allgemein bekannt, fordert aber bei jedem Blatte zu neuer
Bewunderung auf. Einmal ist eine gewisse ursprüngliche Kraft darin,
welche wie die unvermittelte Ansprache einer männlichen Seele berührt,
dann weiß er durch Verschiedenheit der Kohle und des Papiers durch
die vorzügliche, nur, wie es scheint, ihm bekannte scharfe und sichere
Behandlung der Lichter eine malerische Wirkung hineinzubringen,
welche die Farbe durchaus nicht entbehren läßt, ja sie meistens ge-
nügend andeutet. Man glaubt sich den schönsten Radirungen gegen-
über zu befinden; der Wunsch des Besitzes giebt sich aus die ver-
schiedenste Weise kund, indem man alle Arten der Vervielfältigung:
Lithographie, Radirung, Photographie u. s. w. nennen hört, in der
Jeder die Erscheinung sür sich festhalten und sich aneignen möchte.

Aber wie bewunderungswürdig auch die Ausführung sei, so ist
doch sie allein es nicht, die den großen Eindruck hervorbringt, wel-
chen diese Arbeiten machen, die den Beschauer mit dem Gefühle cr-
süllen, daß hier das Ungewöhnliche und Neue mit Siegesanspruch
auftritt. Es ist vielmehr der Geist, in welchem diese Landschaften
komponirt sind, die eigenthümliche Art der Erfassung einer Vorge-
setzten schönen Aufgabe; es ist die staunenswerthe Sicherheit, womit
 
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