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dürfen sie, ungeachtet gelegentlicher Trockenheit der Färbung, ihrer-
seits wiederum allen denen unserer Neueren zum Studium empfoh-
len werden, deren Produkte bei aller Meisterschaft der Technik und
allem Glanz der Farbengebung über ausgeführte Veduten und mög-
lichst treue Porträts eines gegebenen Stückchens Natur so oft nicht
herauskommen.
(Fortsetzung folgt.)
Der Teufel und feine Gesellen in der bildenden Kunst.
Studien von P. M.
VIH. Bis auf die Gegenwart.
(Fortsetzung.)
B. Künstlerische Regeneratoren.
Wir haben im Vorigen versucht, gleichsam die Brücke der Poesie
über die lange dunkle — Kunstpause zu schlagen, die in Deutsch-
land länger und dunkler als anderswo vor den ersten neuen Re-
gungen am Ende des vorigen Jahrhunderts sich ausdehnt. Lange
schon vor Teniers und Salvator Rosa, ja als noch Gestirne, wie
Rubens und Guido am Kunsthimmel glänzten, bietet der vaterlän-
dische Boden selbst auf unserm Felde höchstens ein abschreckendes
Beispiel, wie wenig bloße Willkühr ohne eigentliche schöpferische Kraft
auch nur — Ungethüme nud Gespenster zu gestalten vermag. Es
giebt Nichts sinnlos Widerwärtigeres, — gleichsam statt Callot's
Rausch ein solenner, sit venia verbo, Katzenjammer, als die hie-
her schlagenden Blätter (ein langer Fest- oder Zigeunerzug) des
Wendel Dieterlein (1550—1614), desselben, der uns in seiner „Ar-
chitectura" einen ebenso ergötzlichen als vollständigen Codex des aus-
schweifendsten Berninismus, von Hochaltären, Kanzeln und Epita-
phien bis zu figurirten Springbrunnen und Tafelaufsätzen hinter-
lassen hat. Jener Mangel an schöpferischer Kraft, der vielleicht allein
die oft verkannte Unterscheidung des bloß Bizarren vom acht
Phantastischen bildet, ist ohne Zweifel der größte und empfind-
lichste dieser Periode, die an andern künstlerischen Dingen, z. B. in
Technik und Naturwahrheit, so hochachtbare Ausnahmen hervorge-
bracht, und gerade darum konnte und mußte eben die Poesie die
ersten lichteren Morgenträume, wie sie dem Erwachen vorhergehen,
in den langen Schlaf der Phantasie senden.
Es ist charakteristisch genug, gleichsam ein Mischling brittischer
und germanischer Bildung, der Schweizer Füßli, in dessen Leistun-
gen (so weit sie uns bekannt sind) zuerst etwas von diesen Früh-
träumen auszudämmern scheint. Während seine genrehaften „Ver-
suche malerischer Gedanken" noch völlig dem halb schüchternen, halb
pedantischen Titel entsprechen, eröffnet er auf seinem bekannten Blatte
mit dem „Nachtmohr" (Ille bsigtb-Nare) eine eigne phantastische
Welt, und ohne daß wir die moderne und überschlanke Gestalt der
schlafenden Miß, oder den über ihr hockenden klotzköpfigen und klump-
füßigen Kobold mit den niedergeklappten wolligen Nachtsalterschwin-
gen, das gespenstische Roß, das so wild und unvermuthet aus den
Falten des Bettvorhangs glotzt, und vor allen den ganzen Gegen-
stand des „Alpdrückens" mehr als billig loben oder vertheidigen
wollen, scheint uns doch der beabsichtigte Eindruck des Quälend-
Traumhaften völlig erreicht, und der langentbehrte Flügelschlag einer
schassenden, wenn auch mißleiteten Phantasie nicht wegzuläugnen.
Wir kennen leider Füßli's „Milton-Galerie" nicht.aus eigner An-
schauung, und sprechen es nur nach, daß auch ^ dort seine Erfindun-
gen sich häufig ins Ungeheuerliche verirren- sollen, wozu denn aller-
dings, wie früher bemerkt, die Dichtung ihrerseits reichlichen Anlaß
giebt. Aber schon der Gedanke, das „verlorne Paradies" malerisch
darzustellen, darf von unserm Standpunkt aus als höchst bedeutsam,
ja selbst im Fall gänzlich verfehlter Ausführung an sich als ein
Fortschritt bezeichnet werden. In ähnlicher Weise wird es uns
interessiren, wenn derselbe Künstler und sein Kunstgenoß Josua Rey-
nolds (gleichsam wie unsre vorige Betrachtung) an Shakespeares luf-
tige Geisterchen anknüpfen, sich an Oberon und Titania, an Puck und
Genossen, ja (wenn auch stark verfehlt) an den Unhold Caliban
wagen, — mehr noch und in allgemeiner Bedeutung, wenn der
Bildhauer Flaxman über die heimischen Dichter hinausgreift und
nicht nur zuerst wieder aus dem mittelalterlichen Born dämonischer
Anschauungen, der Divina Commedia, sondern auch aus Homer
und Aeschylus zu schöpfen wagt.
In den Zeichnungen des letztgenannten Künstlers *) sind viel-
leicht am deutlichsten zwei Grundelemente der neuen Wiederge-
burt, das wohlbekannte Zurückgehen aus antike Anschauung und Dar-
stellungsweise, und die weniger beachtete Neigung, der entfesselten
Phantasie neue und wunderbare Flüge zu gestatten, neben einander,
obwohl in eigenthümlicher und nicht immer glücklicher Verbindung
zu erkennen. Während nämlich in den Darstellungen aus Homer
und Aeschylns das letztere (phantastische) Element zuweilen über-
raschend hervorblitzt, und dieselben, z. B. den Briareus, der nur
mit dem Haupt und den vielfachen, gewaltig klammernden Händen
aus dem Abgrund sichtbar wird sBl. 2. zur Ilias] die Riesen,
welche den gefangenen Mars bewachen sBl. 8 daselbst) und andres,
mehr dantesk als griechisch erscheinen läßt, steht andrerseits der ge-
waltigen Plastik der göttlichen Comödie das allzu enge, gleichsam
epigrammatische Gewand des Vasenbildes oft wie eine Parodie an,
und neben das Foreirt - Einfache tritt disharmonisch das Styllos-
Bizarre **).
Ganz anders sehen wir jene Gegensätze aufgelöst, wenn wir
jetzt endlich mit freudigem Stolz am einen großen deutschen Lands-
mann herantreten dürfen. Es ist derselbe Jakob Asmus Carstens,
der zuerst mit tapfrer Brust, einem Winkelried ähnlich, in den eher-
nen Wall künstlerischen Zopf- und Philisterthums Bresche gelegt
hat, — nicht ohne wie Jener daran zu verbluten, - und der zum
Lohn dafür von dem Gros der heutigen Kunstgenießenden, ja was
mehr ist, von so Manchem der heutigen Kunst-Prodncenten bei-
nahe eben so gekannt und geehrt wird, als — bei Lebzeiten. Selbst
der Fremdländer Flaxman, den er sehr glaublicher Weise nicht be-
sonders geschätzt haben soll, ist beinahe mehr gekannt als er, und
die Kunstgeschichten neunen sie neben einander. Und doch sind ihre
Leistungen, obwohl anscheinend verwandter Art, vielleicht eben so,
wie die von beiden gewählten antiken Vorbilder verschieden. Nicht
nur erhalten, weil der Britte sich an eine immerhin untergeordnete
Reihe antiker Knnstschöpfungen, an die Vasenbilder hielt, seine
Darstellungen vielfach etwas Enges, Silhouettenmäßiges, sondern
sie gehen auch, besonders bei Einmischungen des Dämonischen (z. B.
bei den Geistern des Hades, die dem Odysseus erscheinen, Bl. 11
zur Odyssee, bei den Eumeniden des Orest u. a.) geradezu in's
Maskenhafte über; — im Einklangbeiläusig mit A. Feuerbachs geistvoller
Bemerkung, daß die Vasenbilder sich an die Weise der antiken Schau-
*) Auch eine plastische Gruppe unter dem Titel „Erlöse uns vom Uebel"
gehört in unser Bereich, da sie Teufel im Streit mit Engeln um einen von bei-
den umgebnen Menschen darsiellt. So viel nach einein uns bekannten (ziem-
lich mangelhaften) Umriß zu schließen, dürfte sie eine frostige Nachahmung Michel-
augelo's sein.
*'■ ) Zuweilen fühlt man sich in der That bei Ftaxman's Dante an Töpffers
„Voyages en Zig-zag“ und ähnliches erinnert, z. B. wenn an der Fegfener-
thüre sowohl der aufschließende Engel als die Leiden Poeten uns die steitrechten
— Kehrseiten zuweuden, oder wenn große Lokalitäten, die (völlig breughelisch
constrnirte) Flammenstadt, der Harpyienwald und ähnliche mit ein Paar wunder-
lichen Strichen flizzirt, und die Hauptfiguren fast mikroscopisch darin angebracht
sind.
dürfen sie, ungeachtet gelegentlicher Trockenheit der Färbung, ihrer-
seits wiederum allen denen unserer Neueren zum Studium empfoh-
len werden, deren Produkte bei aller Meisterschaft der Technik und
allem Glanz der Farbengebung über ausgeführte Veduten und mög-
lichst treue Porträts eines gegebenen Stückchens Natur so oft nicht
herauskommen.
(Fortsetzung folgt.)
Der Teufel und feine Gesellen in der bildenden Kunst.
Studien von P. M.
VIH. Bis auf die Gegenwart.
(Fortsetzung.)
B. Künstlerische Regeneratoren.
Wir haben im Vorigen versucht, gleichsam die Brücke der Poesie
über die lange dunkle — Kunstpause zu schlagen, die in Deutsch-
land länger und dunkler als anderswo vor den ersten neuen Re-
gungen am Ende des vorigen Jahrhunderts sich ausdehnt. Lange
schon vor Teniers und Salvator Rosa, ja als noch Gestirne, wie
Rubens und Guido am Kunsthimmel glänzten, bietet der vaterlän-
dische Boden selbst auf unserm Felde höchstens ein abschreckendes
Beispiel, wie wenig bloße Willkühr ohne eigentliche schöpferische Kraft
auch nur — Ungethüme nud Gespenster zu gestalten vermag. Es
giebt Nichts sinnlos Widerwärtigeres, — gleichsam statt Callot's
Rausch ein solenner, sit venia verbo, Katzenjammer, als die hie-
her schlagenden Blätter (ein langer Fest- oder Zigeunerzug) des
Wendel Dieterlein (1550—1614), desselben, der uns in seiner „Ar-
chitectura" einen ebenso ergötzlichen als vollständigen Codex des aus-
schweifendsten Berninismus, von Hochaltären, Kanzeln und Epita-
phien bis zu figurirten Springbrunnen und Tafelaufsätzen hinter-
lassen hat. Jener Mangel an schöpferischer Kraft, der vielleicht allein
die oft verkannte Unterscheidung des bloß Bizarren vom acht
Phantastischen bildet, ist ohne Zweifel der größte und empfind-
lichste dieser Periode, die an andern künstlerischen Dingen, z. B. in
Technik und Naturwahrheit, so hochachtbare Ausnahmen hervorge-
bracht, und gerade darum konnte und mußte eben die Poesie die
ersten lichteren Morgenträume, wie sie dem Erwachen vorhergehen,
in den langen Schlaf der Phantasie senden.
Es ist charakteristisch genug, gleichsam ein Mischling brittischer
und germanischer Bildung, der Schweizer Füßli, in dessen Leistun-
gen (so weit sie uns bekannt sind) zuerst etwas von diesen Früh-
träumen auszudämmern scheint. Während seine genrehaften „Ver-
suche malerischer Gedanken" noch völlig dem halb schüchternen, halb
pedantischen Titel entsprechen, eröffnet er auf seinem bekannten Blatte
mit dem „Nachtmohr" (Ille bsigtb-Nare) eine eigne phantastische
Welt, und ohne daß wir die moderne und überschlanke Gestalt der
schlafenden Miß, oder den über ihr hockenden klotzköpfigen und klump-
füßigen Kobold mit den niedergeklappten wolligen Nachtsalterschwin-
gen, das gespenstische Roß, das so wild und unvermuthet aus den
Falten des Bettvorhangs glotzt, und vor allen den ganzen Gegen-
stand des „Alpdrückens" mehr als billig loben oder vertheidigen
wollen, scheint uns doch der beabsichtigte Eindruck des Quälend-
Traumhaften völlig erreicht, und der langentbehrte Flügelschlag einer
schassenden, wenn auch mißleiteten Phantasie nicht wegzuläugnen.
Wir kennen leider Füßli's „Milton-Galerie" nicht.aus eigner An-
schauung, und sprechen es nur nach, daß auch ^ dort seine Erfindun-
gen sich häufig ins Ungeheuerliche verirren- sollen, wozu denn aller-
dings, wie früher bemerkt, die Dichtung ihrerseits reichlichen Anlaß
giebt. Aber schon der Gedanke, das „verlorne Paradies" malerisch
darzustellen, darf von unserm Standpunkt aus als höchst bedeutsam,
ja selbst im Fall gänzlich verfehlter Ausführung an sich als ein
Fortschritt bezeichnet werden. In ähnlicher Weise wird es uns
interessiren, wenn derselbe Künstler und sein Kunstgenoß Josua Rey-
nolds (gleichsam wie unsre vorige Betrachtung) an Shakespeares luf-
tige Geisterchen anknüpfen, sich an Oberon und Titania, an Puck und
Genossen, ja (wenn auch stark verfehlt) an den Unhold Caliban
wagen, — mehr noch und in allgemeiner Bedeutung, wenn der
Bildhauer Flaxman über die heimischen Dichter hinausgreift und
nicht nur zuerst wieder aus dem mittelalterlichen Born dämonischer
Anschauungen, der Divina Commedia, sondern auch aus Homer
und Aeschylus zu schöpfen wagt.
In den Zeichnungen des letztgenannten Künstlers *) sind viel-
leicht am deutlichsten zwei Grundelemente der neuen Wiederge-
burt, das wohlbekannte Zurückgehen aus antike Anschauung und Dar-
stellungsweise, und die weniger beachtete Neigung, der entfesselten
Phantasie neue und wunderbare Flüge zu gestatten, neben einander,
obwohl in eigenthümlicher und nicht immer glücklicher Verbindung
zu erkennen. Während nämlich in den Darstellungen aus Homer
und Aeschylns das letztere (phantastische) Element zuweilen über-
raschend hervorblitzt, und dieselben, z. B. den Briareus, der nur
mit dem Haupt und den vielfachen, gewaltig klammernden Händen
aus dem Abgrund sichtbar wird sBl. 2. zur Ilias] die Riesen,
welche den gefangenen Mars bewachen sBl. 8 daselbst) und andres,
mehr dantesk als griechisch erscheinen läßt, steht andrerseits der ge-
waltigen Plastik der göttlichen Comödie das allzu enge, gleichsam
epigrammatische Gewand des Vasenbildes oft wie eine Parodie an,
und neben das Foreirt - Einfache tritt disharmonisch das Styllos-
Bizarre **).
Ganz anders sehen wir jene Gegensätze aufgelöst, wenn wir
jetzt endlich mit freudigem Stolz am einen großen deutschen Lands-
mann herantreten dürfen. Es ist derselbe Jakob Asmus Carstens,
der zuerst mit tapfrer Brust, einem Winkelried ähnlich, in den eher-
nen Wall künstlerischen Zopf- und Philisterthums Bresche gelegt
hat, — nicht ohne wie Jener daran zu verbluten, - und der zum
Lohn dafür von dem Gros der heutigen Kunstgenießenden, ja was
mehr ist, von so Manchem der heutigen Kunst-Prodncenten bei-
nahe eben so gekannt und geehrt wird, als — bei Lebzeiten. Selbst
der Fremdländer Flaxman, den er sehr glaublicher Weise nicht be-
sonders geschätzt haben soll, ist beinahe mehr gekannt als er, und
die Kunstgeschichten neunen sie neben einander. Und doch sind ihre
Leistungen, obwohl anscheinend verwandter Art, vielleicht eben so,
wie die von beiden gewählten antiken Vorbilder verschieden. Nicht
nur erhalten, weil der Britte sich an eine immerhin untergeordnete
Reihe antiker Knnstschöpfungen, an die Vasenbilder hielt, seine
Darstellungen vielfach etwas Enges, Silhouettenmäßiges, sondern
sie gehen auch, besonders bei Einmischungen des Dämonischen (z. B.
bei den Geistern des Hades, die dem Odysseus erscheinen, Bl. 11
zur Odyssee, bei den Eumeniden des Orest u. a.) geradezu in's
Maskenhafte über; — im Einklangbeiläusig mit A. Feuerbachs geistvoller
Bemerkung, daß die Vasenbilder sich an die Weise der antiken Schau-
*) Auch eine plastische Gruppe unter dem Titel „Erlöse uns vom Uebel"
gehört in unser Bereich, da sie Teufel im Streit mit Engeln um einen von bei-
den umgebnen Menschen darsiellt. So viel nach einein uns bekannten (ziem-
lich mangelhaften) Umriß zu schließen, dürfte sie eine frostige Nachahmung Michel-
augelo's sein.
*'■ ) Zuweilen fühlt man sich in der That bei Ftaxman's Dante an Töpffers
„Voyages en Zig-zag“ und ähnliches erinnert, z. B. wenn an der Fegfener-
thüre sowohl der aufschließende Engel als die Leiden Poeten uns die steitrechten
— Kehrseiten zuweuden, oder wenn große Lokalitäten, die (völlig breughelisch
constrnirte) Flammenstadt, der Harpyienwald und ähnliche mit ein Paar wunder-
lichen Strichen flizzirt, und die Hauptfiguren fast mikroscopisch darin angebracht
sind.