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Eggers, Friedrich [Hrsg.]
Deutsches Kunstblatt <Stuttgart>: Zeitschrift für bildende Kunst, Baukunst und Kunsthandwerk ; Organ der deutschen Kunstvereine &. &. — 8.1857

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https://doi.org/10.11588/diglit.1201#0178
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162

gen dienen können, von Jahr zu 'Jahr weniger „Erfreuliches" lie-
fern,'indem, dort selbst der beim überreich vertretenen Genrefach so
unbedingt nothwendige Humor immer seltener wird, dagegen aber
die-Zahl der uninteressanten nichtssagenden Arbeiten fortwährend zu-
nimmt. Wer aber in der Kunst nicht allein ein Mittel zur Kräfti-
gung des Nationalgefühls und zur Veredlung der Menschheit über-
haupt sieht, indem sie dieser zur Selbsterkenntniß einen Spiegel ihrer
Vorzüge und Mängel, ihrer guten und bösen Gesinnungen, Thaten
und Empfindungen vorhält, sondern der Malerei insbesondere auch
die hohe Bestimmung zuerkennt, die Allmacht, Weisheit und Liebe
Gottes in Gestalt zu predigen durch Darstellung Seiner Führung
des Menschengeschlechts und, so weit dieses möglich, durch bildliches
Wiedergeben der sichtbaren und unsichtbaren Natur, der wird um
so mehr in den Bestrebungen der jüngsten Gegenwart einen eben so
verderblichen als tief betrübenden Schritt zum Verfall dieser Kunst
erblicken. Denn kein Urtheilsfähiger kann läugnen, daß die glaubens-
leere Romantik und der Naturalismus dem gläubigen Idealismus
und strengen hohen Styl, die „kleine" Kunst der Genre- und Land-
schastsfächer der „großen" Kunst der Geschichtsmalerei, das Streben
nach französischer, belgischer oder italienischer Virtuosität des Mä-
chens, dem Schwung und der Begeisterung deutscher Composition,
Farben- und Lichteffekte, der tiefen Empfindung und charaktervollen
Gestaltung, also alle niedriger stehenden Eigenschaften, Leistungen
und Gattungen den höheren, welchen unsre Schule ihre Wiederer-
hebung verdankt, immer mehr Boden abgewinnen, und somit die
Kunst den Weg wieder zurückzugehn beginnt, aus welchem sie durch
die große Anstrengung und Hingebung der Regeneratoren und ihrer
Nachfolger seit 30 — 40 Jahren dem Ziel, welches diese Männer
erstrebten, immer näher rückte.

Die Naturalisten und die jüngere der neuesten Richtung ange-
hörende Generation werden dieses natürlich nicht zugeben. Entweder
trösten sie sich damit, daß ältere Leute immer für die vergangene
Zeit schwärmen und das Neue herabsetzen, oder sie entgegnen, daß
die neuesten Bestrebungen ein nothwendiger Entwicklungsproceß der
Kunst feien, die ja nach immer vollkommnerer vielseitiger Gestaltung
streben müsse, um ihren Culminationspunkt zu erreichen, wobei dann
gelegentlich Ghirlandajo und ihm ähnliche Zeitgenossen, welche die
altitalienische Kunst durch ihren „Naturalismus" ihrem späteren
Höhepunkt entgegen geführt haben sollen, als Belege angeführt wer-
den. Endlich wird auch noch, wie in der Musik, von einer Malerei
der Znkunft gesprochen, welche die neueste Richtung vorbereiten wolle.
Ich gestehe, daß ich diese Bestrebung nicht begreife, da die Geschichte
beweist, daß die Kunst immer ein Spiegel der höheren und niederen
Elemente ihrer Zeit je nach dem Standpunkt der Künstler ist. Wenn
nun auch die Menschheit dieselbe bleibt, so bildet doch gerade der
Wechsel im Hervor- und Zurücktreten der verschiedenen Elemente,
welche ihr Wesen ausmachen, die Verschiedenheit der Zeiten und so-
mit auch die der Anforderungen an die Kunst. Wie aber diese in
der Zukunft sein werden, das kann Niemand vorher wissen, und so
gehören dann die gedachten Bestrebungen keiner Zeit an, indem sie
nicht auf die Gegenwart berechnet, dieser fremd sind, und die Zeit
ihres Ursprungs dennoch nicht verläugnen könnend, eben so wenig
für zukünftige Zeiten passen. Es giebt zwar eine Kunst der Zukunft,
aber sie ist keine Vorbereitung auf diese, sondern die Vollendung,
die Blüthe einer Gegenwart und aus Werken bestehend, welche für
alle kommenden Zeiten als Muster und Studium dienen können.'
Eine solche Kunst gaben die Griechen, das Mittelalter und theil-
weise auch unsere Regeneratoren und ihre bessern Nachfolger; wollen
und können die neuesten Bestrebungen solche Werke liefern, so wird
ihnen nicht allein die Zukunft, sondern auch die Gegenwart zum
höchsten Dank verpflichtet sein. Dazu müssen sie aber einen ihrem
jetzigen diametral entgegengesetzten Weg einschlagen.

Was nun Ghirlandajo und ähnliche Männer seiner Zeit be-
trifft, so sprechen sie gerade gegen die neueren Bestrebungen, denn
wenn sie auch nicht mehr der strengsten idealen Richtung angehören,
so ist ihr Styl noch immer so hoch, daß nur wenige unsrer-jetzigen
Künstler sie darin übertreffen; außerdem gehören sie zu denen, welche
den Mangel an eigentlicher Erfindungsgabe und an einem den Ge-
genstand durchdringenden und erfassenden Geist durch eine Menge
von Portraitfiguren, die noch obendrein oft ganz theilnahmlos da-
stehn und durch fleißig ausgeführte, zum Aussprechen des Gegen-
standes vielfach ganz unnöthige Nebensachen zu ersetzen suchen, wie
denn derartige Künstler fast immer dem Naturalismus huldigen,
ähnlich wie im Leben die innerlich Armen auf die Aeußerlichkeit den
größten Werth legen. Aber der Naturalismus jener Zeit, wenn
man diese Richtung einmal so nennen will, verhält sich gegen den
jetzigen, wie Natur zum Modell, oder deutlicher, wie das künstlerische
Wiedergebären des Ersteren gegen das Nachmalen oder Nachbilden
des Letztern, sei es nun aus dem Gedächtniß oder nach sichtbarem
Vorbild, kurz wie Wahrheit gegen Natürlichkeit. Deshalb konnte
jene Richtung die spätere höchste Blüthezeit allerdings vorbereiten,
wohin aber der jetzige Naturalismus am Ende führen kann, das
zeigt am auffallendsten ein Vergleich der Düsseldorfer „Monatshefte"
mit den Münchner „fliegenden Blättern" und Bilderbogen; denn
während sich in diesen selbst bei den derbsten Gegenständen und Cha-
racteren immer ein gewisses, gehaltenes, künstlerisches Wesen und
Humor zeigt, so ist dort alles dilettantenartig, kalt, steif, langweilig
und nicht selten sogar gemein. Um Mißverständnisse vorzubeugen
und zur richtigen Beurtheilung der folgenden Erörterungen muß ich
hier bemerken, daß niemand entfernter als ich davon sein kann, die
soeben gebrauchten Worte auf die Düsseldorfer Schule überhaupt
anzuwenden, da ich vielmehr der Ansicht bin, daß sie unter Leitung
ihres verdienstvollen Direktors Schadow Männer und Werke hervor-
brachte, die ihr zur wahren Zierde gereichen, und ich betrachte es
daher als eine Ungerechtigkeit, wenn der Ultraidealismus diese von
jedem Antheil an der Regeneration ausschließt. Sie ging allerdings
nicht von ihnen aus und konnte dieses auch nicht, da noch niemals
eine solche mit den niederern Fächern und Richtungen begann, dem-
ohngeachtet nahmen sie unbestreitbaren Antheil an ihr dadurch, daß
sie sich von der vorher herrschenden Manier und der Vergötterung
der Antike lossagten und zur Natur zurückkehrten. Sie hätten auf
diesem Wege vielleicht für uns eine zweite venetianische Schule wer-
den können, wenn sie nicht in den Jrrthum verfallen wären, Mo-
dell für Natur, Natürlichkeit für Wahrheit zu halten.

Einzelne fühlten allerdings später das Irrige des Princips und
sagten sich von ihm los, aber wenn auch nicht zu spät, um noch
sehr Bedeutendes zu leisten, doch nicht früh genug, um ohne Bei-
mischung des früheren Strebens dem höheren strengen Styl ganz
angehören zu können. Jener Vergleich beabsichtigt also nur, das
Ende der'durch diese Schule vorzugsweise angebahnten Richtung
möglichst anschaulich zu machen, denn wenn der von ihr abstam-
mende heutige Naturalismus, wie die Monatshefte beweisen, in
solcher ihm eigentlich angehörenden, schon an sich niedrigeren Sphäre
sich selbst noch tiefer herabzieht, um wie viel verderblicher muß er
dann diese Wirkung auf höhere Gegenstände ausüben, wenn er, wie
es jetzt geschieht, Geltung bei ihnen erlangt. Nun wird zwar nie-
mand bestreiten, daß der Geist, wenn er durch Schöpfungen in die
Aeußerlichkeit eintritt, nach einer ihm immer vollkommener entspre-
chenden Gestaltung ringen wird und muß, aber wahrlich das Mittel
dazu ist weder der Naturalismus noch das Genreartige. Das sehn
wir an den Venetianern, die in sofern die italienischen Naturalisten
genannt werden könnten, als sie ihre Gestaltung aus ihrer Phan-
tasie und der sie umgebenden Natur schöpften, ohne dabei, wie die
andern italienischen Schulen, die Antike als Schönheitscorrectiv zu
 
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