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Eggers, Friedrich [Hrsg.]
Deutsches Kunstblatt <Stuttgart>: Zeitschrift für bildende Kunst, Baukunst und Kunsthandwerk ; Organ der deutschen Kunstvereine &. &. — 8.1857

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https://doi.org/10.11588/diglit.1201#0452
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Schlafmütze und einem schwarzangerauchten Thonprügel ausstaffirt
hatte, und der unter den tüchtigen Meistern der spanischen Schule
vollkommen an seinem Platze gewesen wäre. Courbet hat in der
Lokalbetonung sehr viel Treffendes und Feines, das er durch Auf-
schmieren und Aufträgen von Farben verdirbt und vergröbert mit
der Absicht, seiner Malerei ein derbes und grobes Aussehen zu ge-
ben, ohne welches sie nicht so sehr in die Angen fallen würde. Er
ist ein Scheingrobian: auch spannt er schon mildere Saiten auf,
und läßt eine gewisse Scheu vor der Durchführung seiner Darstel-
lungs- und Auffassungsweise in ihrer ganzen Einseitigkeit und Schroff-
heit durchblicken; seine „Landmamsells" (1854) hielten nicht alle
von den „badenden Weibern" (1853) in Aussicht gestellten Ver-
sprechungen, und seine diesjährigen „Stadtmamsells" sind in Ver-
gleich gegen jene weiblichen Fleischklumpen ebenfalls beinahe idyllische
Wesen: von einigen rüstigen Tönen .gesäubert und von einigen dicken
Jmpastirungen erleichtert, würden sie sich gar nicht übel in der Land-
schaft ausnehmen, welche selbst bloß im Machwerk fleißiger beendigt
und perspektivisch genauer durchgeführt zu sein brauchte, um ein gu-
tes Ansehen zu gewinnen und eine gefällige Wirkung hervorzubrin-
gen. Courbet, der Bäurische, der Wilde, der Naturalist bis zum
Aeußersten, hat hier in seiner Art dm Grazien gehuldigt. Die
vorderste der beiden „Stadtmamsells", die mit dem Bauch glatt auf
dem Boden liegend sich im Grase wälzt und mit frecher Stirn zum
Bilde hinaussieht, ist freilich ein gemeines Mensch; aber ihre Ge-
fährtin, die unter einem schönen Halbschatten, den Rücken an einen
Baum gelehnt und den Kopf auf die Hand gestützt, dasitzt und ein-
schlummert, hat wirklich einen Anflug von Grazie, und hätte Cour-
bet den Muth gehabt, so würde er die Stadtnymphen hübsch dar-
gestellt haben. Aber man ist nicht umsonst das Haupt der ultrana-
turalistischen Schule, und vielleicht schreien schon einige Fanatiker
und Feuerköpse über Verrath und Abfall. Das Plebejische, wie das
Adelige, legt gewisse Verpflichtungen auf. Die „Hetzjagd im Win-
ter" und die „Rehjagd im Jura" sind zwei Bilder von einer Sicher-
heit und Solidität des Vortrags, von einer Harmonie und Sätti-
gung der Farbe, daß sie in einer Gemäldegalerie gegen die Werke
alter Meister nicht grell abstechen würden. Ich wüßte keinen anzu-
geben, der den Schnee so vortrefflich gemalt hätte, als Courbet in
seiner „Hetzjagd", und Snyders würde nichts einzuwenden haben
gegen den an den Vorderläufen aufgehängten Rehbock, der in der
„Rehjagd" das Meisterstück und die Hauptperson ist. Man sieht in
diesem letztern Bilde freilich noch einen an der Erde sitzenden Jä-
gerburschen, der die Hunde zur Jagdbeute zusammenbläst, und einen
danebenstehenden Schützen, der sich an einen Baum lehnt und mit
Wohlgefallen das lustige Waldhorugeschmetter anhört; aber diese
Figuren spielen keine so wichtige Rolle als das Rehbockfell. Der
Mensch ist für Courbet ein materieller Gegenstand wie ein anderer,
der nur einen Sachwerth hat, eine Art Baum, der anstatt der
Rinde mit einer Jacke bekleidet ist. Alle diese leblosen oder leben-
digen Dinge sind, wenn nicht mit vollkommener Meisterhand, doch
mit tüchtiger Arbeiterfaust gemalt. Auch der Wald im Hintergründe
ist gut behandelt und sogar poetisch aufgefaßt, nur vermißt man die
genaue Beobachtung der Luft und Linienperspektive. Der Horizont
kippt über und fällt auf den Beschauer wie eine umgeworfene spa-
nische Wand. Diesem Uebelstande hätte Courbet einigermaßen ab-
helfen können, wenn er sein höchstes Licht in den Vorder- oder Mit-
telgrund des Gemäldes hätte hineinfallen lassen, um dem Hinter-
gründe dadurch eine größere Entfernung zu geben; aber der Maler
scheint sich um'die Gesetze der Perspektive nicht bekümmern zu wol-
len, denn der Verstoß gegen diese Gesetze ist in seinen Bildern ein
durchgängiger Hauptfehler.

I. P. A. Antigua zählt zu den Malern naturalistischer Rich-
tung. Er machte vor einigen Jahren mit einer „Feuersbrunst" und

einer „Ueberschwemmungsscene" viel Glück und erregte große Er-
wartungen. Leider ist er seitdem nicht voran- sondern zurückgegan-
gen: der Beifall hat ihn wie so manchen Andern verdorben. Bei
etwas schwerfälligem Naturell und etwas plumpem Talent konnte
dieser Künstler nur durch unablässigem Fleiß zu Tüchtigem und Ge-
diegenem gelangen; seine diesjährigen Bilder haben von den frühe-
ren bloß die Mängel behalten. Der „Besuch.des Kaisers bei den
Schieferbrechern zu Angers während der Ueberschwemmung im I.
1856" verträgt keinen Vergleich mit seiner ersten „Ueberschwem-
mungsscene". Alles ist von einer Farbe: Figuren und Gewänder,
Himmel und Wasser, nämlich von einem erdigen Grau. Der Ma-
ler wollte unstreitig mit dieser Gleichförmigkeit des Tons eine trost-
lose und düstere Harmonie und Lokalität herausbringen; aber er hat
die Wirkung übertrieben. Zwei andere Bilder von Antigua, eine
„arme Frau" und eine „Spinnerin", .sind zwei Studienfiguren, eben
nicht sehr studirt mit schlammiger und schwammiger Palette gemalt,
und bloß an den Wangen mit einigen Rothweintönen aufgeführt.
Der Künstler wird nachlässig und ergiebt sich einer verderblichen
Flüchtigkeit. Naturalisten, die keinen Sinn für's Ideale haben und
das Hauptverdienst der Kunst in genaue Nachbildung der Natur
setzen, dürfen nie aus dem Kopfe malen, sondern müssen stets das
Modell vor Augen behalten, wenn sie nicht in die gröblichsten Jrr-
thümer hineingerathen wollen. Um immer wieder neue Kraft zu
bekommen, ist es nöthig, daß sie die Erde berühren wie Antäus in
seinem Ringkampfe mit Herkules. Sonst ist keine Rettung für sie;
man erlaubt ihnen, gemein und trivial zu sein, unter der Bedin-
gung, daß sie wahr sind. Poesie, Eleganz, Styl, Schönheit, Cha-
rakter, wer dieses Alles unter dem Namen „gleichgültiger Dinge"
als einen Plunder preisgiebt und wegwirft, muß es durch irgend
Etwas ersetzen, und was ist ekelhafter als konventionelle Pracher-
lumpen, unwahrer Familienjammer und falsche Häßlichkeit? Wenn
Murillo's „Lausejunge" mit der Hand in seine Hemdlosigkeit hinein-
greift, so zieht er wimmelndes Ungeziefer heraus, und wenn Ostade's
Männchen und Weibsen grundhäßlich find, so haben sie das Recht
dazu, weil sie leben.

Ein anderer Naturalist, und zwar vom derbsten Schlage, ist
H. 'Debon. Bei aller Gemeinheit und Niedrigkeit haben die Figu-
ren in seinen zwei Bildern mit Vorgängen aus dem Leben des Ra-
belais und des Christoph Columbus eine gewisse brutale Furie, eine
ausgelassene Wildheit der Behandlung, die eben nicht anzupreisen,,
jedoch einer schwächlichen und zahmen Mittelmäßigkeit vorzuziehen
sind. Es ist grob, anstößig, aber vierschrötig, und die Kraft ist in
der Kunst eine so seltene Eigenschaft, daß sie viele Fehler vergessen
läßt. In Ermangelung von feinerem Schönheitssinn und Jdealge-
fühl, besitzt Debon wenigstens Temperament. Er hat für das Fleisch
die flämische Metzgerliebe, wie sie aus den Gemälden von Jordaens
hervorleuchtet, den Debon sich zum Vorbilde genommen zu haben
scheint.

Der vollständigste Gegensatz von Debon ist CH. Jacquand:
sie stehen an den zwei Polen der Kzmst. Der Eine ist eben so
übermäßig pastös, als der Andere übertrieben glatt; wo der Erste
mit der Spachtel aufschmiert, vertreibt der Zweite mit Dachshaaren;.
Debon bekleckst, Jacquand säubert; Jener malt seine Bilder runze-
lig wie Elephantenhäute, Dieser glatt wie Glaceehandschuhe oder
lackirte Blechteller: ein vollständiger Gegensatz, der in der Ausstel-
lung um so merkbarer ist, als die Werke der beiden Meister hier
zufällig neben einander hängen, so daß Debon gegen Jacquand
rauhhaarig, borkig, barbarisch, und Jacquand gegen Debon schmuck-
glänzend, geleckt und zimperlich erscheint. Die „Wachstube der deut-
schen Reiterkuechte" und der „unterbrochene Banditenschmaus" sind
jedoch zwei gute Bilder von Jacquand. Die gewissenhafte und be-
sorgte Ausführung der Beiwerke verräth die Herkunft des Malers-
 
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