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mals ausgesprochen. Der aber ist völlig in sich zerrüttet. Denn
nnr einem solchen Zustande kann man verzeihen, daß er eines Abends,
da Diomedes nur von Charitons Seite gewichen ist, seinen verlor-
nen Dolch zu suchen, mit einem Antrag sich an das Mädchen wagt,
deren Hingebung an Diomedes Keinem außer allenfalls dies em und ihrselbst
verborgen sein konnte. Sie, ohne zu antworten, entflieht vor ihm,
sucht Diomedes auf, als habe sie einen Beschützer noch, läßt ihn
einen Blick in die Scene werfen, die eben vorgegangen, und Beide
in höchster Aufregung und Bekümmerniß irren vom Rückweg ab
und finden sich endlich nach einem offnen Hof, wo sie am Rande
eines Brunnens sich niederstrecken, die Nacht hier hinzubringen. In
der Nähe wohnt die Tänzerin Jo, die sie findet und in ihr Gemach
nöthigt. In der Nacht sind sich beide klar geworden, daß viel
zwischen ihrer Liebe stehe. Sie wollen entsagen. Morgens entdeckt
Antonius und seine Diener, die die Gegend durchsucht haben, die
Vermissten. Und trotz aller Vorgänge ändert sich nichts; Diomedes
besucht am Abend mit Antonius wie sonst den Tempel. Chariten
muß ihn erst bitten, ganz auf sie zu verzichten und sich der Verlob-
ten wieder zuzuwenden. Und Diomedes versucht es, lügt sich leid-
lich in einen Rausch hinein, während Antonius neue Hoffnung
schöpft, Chariten dennoch zu gewinnen, und begleitet einst zu Roß
den Wagen seiner Braut in die Campagne, als ihm von fern der
Tempel und Charitons Gestalt ins Auge sällt. Da duldet es ihn
nicht länger in dem Scheinwesen, er schüttelt es gewaltsam ab und
sprengt der Braut davon der Geliebten zu. Beide fühlen, daß
Entsagen Unnatur gewesen, daß sie sich dennoch ewig angehört hät-
ten. Und nun kommt am Abend Antonius und erfährt die schreck-
liche Gewißheit. Umsonst versucht er einige Tage lang sich zu
fassen; da ist er eben im Begriff den Becher an die Lippen zu
setzen, der aller Qual ein Ende machen soll, als Diomedes herein-i
stürzt mit der Nachricht, Charitons Vater liege im Sterben und
wünsche ihn noch einmal zu sehen. Er folgt dem Freunde an das >
Todtenbette. Dort geht ihm Werrh und Würde des Lebens wieder
auf; er beschließt zu leben und zu wirken und hinfort schweigt alles
feindliche Gefühl gegen die beiden Glücklichen.
Wir haben im Fluge erzählt, was in acht Gesängen auf
133 Seiten behaglich ausgebreitet wird. Aber wir glauben kein Mo-
tiv der Entwicklung übergangen, ja hie und da eins stärker betont zu
haben, als im Gedichte geschieht. Denn eine seltsame Mischung von
Ausführlichkeit und Dunkelheit unterscheidet dies Werk von dem De-
metrius, das eine durchaus einleuchtende psychologische Studie ist und
in sich selbst von jeden: Schritte Rechenschaft giebt. Hier ruht ein
träumerischer Nebel über der Handlung, ihren Trägern, ihrem Lo-
cal. Wir sind in und um Rom und zuweilen glauben wir in ei-
ner romantischen Oede verirrt zu sein, in der selbst die Kundigen,j
dort Angesiedelten sich nicht aus die Wege besinnen. Die Scene;
beginnt im Garten. Zum Tempel aber führt ein steil abfallender
Weg (S. 10.) in die Tiefe. Nun vermuthen wir den Boden des
Tempels der Ebene gleich, bis wir im 5. Gesang erfahren, daß
Chariton und Diomedes wenn sie am Hang des Felsens sitzen, eine
waldige Tiefe sich zu Füßen liegen sehn, der Tempel also auf einem
vorspringenden Theil der Haide stehen niuß. In jene „waldige
Tiefe" entfällt dem jungen Griechen der Dolch. Er klimmt ihm j
nach und sieht unten, unerreichbar in den Dornen, seine verlorne
Waffe. Während er sich „ins hohe Gras wirft und nachdenkt"
findet sich plötzlich Chariton zu ihm, bekennt ihm verworren Anto- j
nius' Antrag und bittet dann, sie zu den Männern zurückzuführen,
„den Weg hinauf zum Tempel." Man sollte denken, der Weg, den
Beide eben gekommen, sei nicht zu fehlen. Und dennoch:
ihm war >
Im Dunkel nicht einmal die Richtung klar,
In der der Hügel lag, und wo er wußte,
Daß nach dem Sternenstand er liegen mußte.
Wie? sind sie nicht am Fuß des Hügels? fiel der Dolch nicht
senkrecht ins Gestrüpp hinunter? Was braucht es Sternenstand?
Aber die Beiden gehen weiter, in der Ebene weiter, unter dem
„goldbesä'ten, ew'gen Bogen" und doch völlig im Dunkeln über die
Gegend, die Chariton täglich hundertfach zu überschauen Muße hatte.
An diesem Einen Beispiel Eichendorffisch-sorgloser Topographie
möge es genug sein. Wir würden sie keines Winkes bedürftig hal-
ten, griffe dieser träumerische Leichtsinn nicht weiter um sich, nicht
bis zu den wichtigsten Motiven, nicht bis zur Eomposition selber.
Des Dichters einziges Bemühen ist, seine Hauptfiguren zu stim-
men. Was an Nebenfiguren hiezu nöthig ist, wird abgedankt, so-
bald es diesem Zwecke gedient hat. So die schattenhafte Figur des
Vaters. So die Tänzerin Jo. Ihre Neigung zu Diomedes, die
sich in der Scene des Festes anknüpft, wird abgerissen wie ein Fa-
den des Einschlags wenn das Gewebe vollendet ist. Ihre Rolle
in jener Nacht am Brunnen ist ebenso unklar, wie die ganze Art
ihrer Existenz. Eine Tänzerin in der römischen Kaiserzeit, in einem
halbverfallnen Hause mitten in der Campagne — man will wenig-
stens eine so abenteuerliche Einsiedelei erklärt, nicht als ein baares
Faktum hingestellt sehen. Jo's Eifer, Diomedes zu retten, als
der alte Gronio dem Jüngling, der sie ihn: zweimal entrissen, Hin-
terhalt legt, ist an sich motivirt genug. Was hat aber Gronio,
seine Freundschaft mit Diomedes, der ganze Hinterhalt und das
daraus folgende nächtliche Gefecht mit unsrer Novelle zu thun?
Wir erwarten wenigstens, die empfangene Verwundung werde in
den Fortgang der Geschichte eingreifen. Nichts der Art: Am an-
dern Tag war Jedermann geheilt."
Nicht minder äußerlich tritt die Verlobte des jungen Griechen,
Valeria, auf und ab, eine stunnne Figur, immer bei der Hand,
wenn der Dichter sie braucht, dann wieder ohne Rücksicht darauf,
daß sie doch auch ein Schicksal habe, in den Hintergrund verwiesen.
Dergleichen Figuren sind in einen: großen Roman nicht zu entbeh-
ren. Eine Novelle wie die vorliegende ist unbesonnen componirt,
wenn fast die Hälfte des Raumes an unentwickelte Schicksale und
verstümmelte Charaktere verschwendet wird. Der Dichter wird sich
nicht auf die Wege des Lebens berufen dürfen, die von Irrlichtern
des Zufalls vielfach ans einer scheinbar noch so deutlichen Richtung
abgelenkt und von nicht minder räthselhaften Halbdunkeln Erscheinun-
gen wieder an die rechten Sterne zurückgewiesen werden. Das Le-
ben hat eben „nicht Anfang und nicht Ende." Nicht das soll der
Ehrgeiz des Gedichts sein, diese äußere Schrankenlosigkeit, diese un-
endliche Kette von Ursachen und Wirkungen nachzubilden, sondern
in einen äußerlich abgegrenzten Kreis endlichen Geschehens, die ganze
innere Unendlichkeit des Gemüths zu bannen. Wir sagen mit Ab-
sicht „das Gedicht." Wir haben uns gewöhnt, von der höchsten
Form den höchsten Inhalt zu fordern, und wenn wir der unge-
bundnen Rede eine genaue Rechenschaft, von jedem Wort, das sie
gesprochen, schenken, scheint unverantwortlicher Zufall nicht der ge-
bundenen Rede werth. Durchsichtig und hell wie eine wohlgeschlif-
fene Strophe wollen wir auch den Bau der Handlung durchschauen
können. Das Ueberschwängliche, Unendliche, Geheimuißvolle aber,
das in allen: Schönen uns anweht, scheint uns nicht in dem Was,
*) Aber für das Faktische hat der Dichter nun einmal eine große Verach-
mg und glaubt, unverantwortlich mit ihm schalten zu dürfen, wenn er es nur
vingt, am rechten Orte seiner Idee zu dienen. Um so mehr befremdet uns,
aß er trotzdem Thatsächliches seiner Geschichte einflicht, das ihr nicht im ge-
mgsten Vorschub leistet, im Gegentheil sie aushält, zerreißt und empfindlich
erwirrt.
mals ausgesprochen. Der aber ist völlig in sich zerrüttet. Denn
nnr einem solchen Zustande kann man verzeihen, daß er eines Abends,
da Diomedes nur von Charitons Seite gewichen ist, seinen verlor-
nen Dolch zu suchen, mit einem Antrag sich an das Mädchen wagt,
deren Hingebung an Diomedes Keinem außer allenfalls dies em und ihrselbst
verborgen sein konnte. Sie, ohne zu antworten, entflieht vor ihm,
sucht Diomedes auf, als habe sie einen Beschützer noch, läßt ihn
einen Blick in die Scene werfen, die eben vorgegangen, und Beide
in höchster Aufregung und Bekümmerniß irren vom Rückweg ab
und finden sich endlich nach einem offnen Hof, wo sie am Rande
eines Brunnens sich niederstrecken, die Nacht hier hinzubringen. In
der Nähe wohnt die Tänzerin Jo, die sie findet und in ihr Gemach
nöthigt. In der Nacht sind sich beide klar geworden, daß viel
zwischen ihrer Liebe stehe. Sie wollen entsagen. Morgens entdeckt
Antonius und seine Diener, die die Gegend durchsucht haben, die
Vermissten. Und trotz aller Vorgänge ändert sich nichts; Diomedes
besucht am Abend mit Antonius wie sonst den Tempel. Chariten
muß ihn erst bitten, ganz auf sie zu verzichten und sich der Verlob-
ten wieder zuzuwenden. Und Diomedes versucht es, lügt sich leid-
lich in einen Rausch hinein, während Antonius neue Hoffnung
schöpft, Chariten dennoch zu gewinnen, und begleitet einst zu Roß
den Wagen seiner Braut in die Campagne, als ihm von fern der
Tempel und Charitons Gestalt ins Auge sällt. Da duldet es ihn
nicht länger in dem Scheinwesen, er schüttelt es gewaltsam ab und
sprengt der Braut davon der Geliebten zu. Beide fühlen, daß
Entsagen Unnatur gewesen, daß sie sich dennoch ewig angehört hät-
ten. Und nun kommt am Abend Antonius und erfährt die schreck-
liche Gewißheit. Umsonst versucht er einige Tage lang sich zu
fassen; da ist er eben im Begriff den Becher an die Lippen zu
setzen, der aller Qual ein Ende machen soll, als Diomedes herein-i
stürzt mit der Nachricht, Charitons Vater liege im Sterben und
wünsche ihn noch einmal zu sehen. Er folgt dem Freunde an das >
Todtenbette. Dort geht ihm Werrh und Würde des Lebens wieder
auf; er beschließt zu leben und zu wirken und hinfort schweigt alles
feindliche Gefühl gegen die beiden Glücklichen.
Wir haben im Fluge erzählt, was in acht Gesängen auf
133 Seiten behaglich ausgebreitet wird. Aber wir glauben kein Mo-
tiv der Entwicklung übergangen, ja hie und da eins stärker betont zu
haben, als im Gedichte geschieht. Denn eine seltsame Mischung von
Ausführlichkeit und Dunkelheit unterscheidet dies Werk von dem De-
metrius, das eine durchaus einleuchtende psychologische Studie ist und
in sich selbst von jeden: Schritte Rechenschaft giebt. Hier ruht ein
träumerischer Nebel über der Handlung, ihren Trägern, ihrem Lo-
cal. Wir sind in und um Rom und zuweilen glauben wir in ei-
ner romantischen Oede verirrt zu sein, in der selbst die Kundigen,j
dort Angesiedelten sich nicht aus die Wege besinnen. Die Scene;
beginnt im Garten. Zum Tempel aber führt ein steil abfallender
Weg (S. 10.) in die Tiefe. Nun vermuthen wir den Boden des
Tempels der Ebene gleich, bis wir im 5. Gesang erfahren, daß
Chariton und Diomedes wenn sie am Hang des Felsens sitzen, eine
waldige Tiefe sich zu Füßen liegen sehn, der Tempel also auf einem
vorspringenden Theil der Haide stehen niuß. In jene „waldige
Tiefe" entfällt dem jungen Griechen der Dolch. Er klimmt ihm j
nach und sieht unten, unerreichbar in den Dornen, seine verlorne
Waffe. Während er sich „ins hohe Gras wirft und nachdenkt"
findet sich plötzlich Chariton zu ihm, bekennt ihm verworren Anto- j
nius' Antrag und bittet dann, sie zu den Männern zurückzuführen,
„den Weg hinauf zum Tempel." Man sollte denken, der Weg, den
Beide eben gekommen, sei nicht zu fehlen. Und dennoch:
ihm war >
Im Dunkel nicht einmal die Richtung klar,
In der der Hügel lag, und wo er wußte,
Daß nach dem Sternenstand er liegen mußte.
Wie? sind sie nicht am Fuß des Hügels? fiel der Dolch nicht
senkrecht ins Gestrüpp hinunter? Was braucht es Sternenstand?
Aber die Beiden gehen weiter, in der Ebene weiter, unter dem
„goldbesä'ten, ew'gen Bogen" und doch völlig im Dunkeln über die
Gegend, die Chariton täglich hundertfach zu überschauen Muße hatte.
An diesem Einen Beispiel Eichendorffisch-sorgloser Topographie
möge es genug sein. Wir würden sie keines Winkes bedürftig hal-
ten, griffe dieser träumerische Leichtsinn nicht weiter um sich, nicht
bis zu den wichtigsten Motiven, nicht bis zur Eomposition selber.
Des Dichters einziges Bemühen ist, seine Hauptfiguren zu stim-
men. Was an Nebenfiguren hiezu nöthig ist, wird abgedankt, so-
bald es diesem Zwecke gedient hat. So die schattenhafte Figur des
Vaters. So die Tänzerin Jo. Ihre Neigung zu Diomedes, die
sich in der Scene des Festes anknüpft, wird abgerissen wie ein Fa-
den des Einschlags wenn das Gewebe vollendet ist. Ihre Rolle
in jener Nacht am Brunnen ist ebenso unklar, wie die ganze Art
ihrer Existenz. Eine Tänzerin in der römischen Kaiserzeit, in einem
halbverfallnen Hause mitten in der Campagne — man will wenig-
stens eine so abenteuerliche Einsiedelei erklärt, nicht als ein baares
Faktum hingestellt sehen. Jo's Eifer, Diomedes zu retten, als
der alte Gronio dem Jüngling, der sie ihn: zweimal entrissen, Hin-
terhalt legt, ist an sich motivirt genug. Was hat aber Gronio,
seine Freundschaft mit Diomedes, der ganze Hinterhalt und das
daraus folgende nächtliche Gefecht mit unsrer Novelle zu thun?
Wir erwarten wenigstens, die empfangene Verwundung werde in
den Fortgang der Geschichte eingreifen. Nichts der Art: Am an-
dern Tag war Jedermann geheilt."
Nicht minder äußerlich tritt die Verlobte des jungen Griechen,
Valeria, auf und ab, eine stunnne Figur, immer bei der Hand,
wenn der Dichter sie braucht, dann wieder ohne Rücksicht darauf,
daß sie doch auch ein Schicksal habe, in den Hintergrund verwiesen.
Dergleichen Figuren sind in einen: großen Roman nicht zu entbeh-
ren. Eine Novelle wie die vorliegende ist unbesonnen componirt,
wenn fast die Hälfte des Raumes an unentwickelte Schicksale und
verstümmelte Charaktere verschwendet wird. Der Dichter wird sich
nicht auf die Wege des Lebens berufen dürfen, die von Irrlichtern
des Zufalls vielfach ans einer scheinbar noch so deutlichen Richtung
abgelenkt und von nicht minder räthselhaften Halbdunkeln Erscheinun-
gen wieder an die rechten Sterne zurückgewiesen werden. Das Le-
ben hat eben „nicht Anfang und nicht Ende." Nicht das soll der
Ehrgeiz des Gedichts sein, diese äußere Schrankenlosigkeit, diese un-
endliche Kette von Ursachen und Wirkungen nachzubilden, sondern
in einen äußerlich abgegrenzten Kreis endlichen Geschehens, die ganze
innere Unendlichkeit des Gemüths zu bannen. Wir sagen mit Ab-
sicht „das Gedicht." Wir haben uns gewöhnt, von der höchsten
Form den höchsten Inhalt zu fordern, und wenn wir der unge-
bundnen Rede eine genaue Rechenschaft, von jedem Wort, das sie
gesprochen, schenken, scheint unverantwortlicher Zufall nicht der ge-
bundenen Rede werth. Durchsichtig und hell wie eine wohlgeschlif-
fene Strophe wollen wir auch den Bau der Handlung durchschauen
können. Das Ueberschwängliche, Unendliche, Geheimuißvolle aber,
das in allen: Schönen uns anweht, scheint uns nicht in dem Was,
*) Aber für das Faktische hat der Dichter nun einmal eine große Verach-
mg und glaubt, unverantwortlich mit ihm schalten zu dürfen, wenn er es nur
vingt, am rechten Orte seiner Idee zu dienen. Um so mehr befremdet uns,
aß er trotzdem Thatsächliches seiner Geschichte einflicht, das ihr nicht im ge-
mgsten Vorschub leistet, im Gegentheil sie aushält, zerreißt und empfindlich
erwirrt.