M 9. Donnerstag, den 30. April. 1837.
Inhalt: Shakespeare aus der modernen englischen Bühne. Achter Brief. Die lustigen Weiber von Windsor. Die Komödie der Irrungen. — Gedichte.
LaScia passare. Von Robert Waldmüller. — Pariser Kaiserscizzen von Theod. Mnndt. — Unsere Zeit. Jahrbuch zum Convers.-Lexikon. F. A. Brock-
haus. — Drei Dank-Predigten rc., gehalten im I. 1757 von August Friedrich Wilh. Sack im Dome zu Berlin.
Shakespeare auf der modernen englischen Diihne.
Achter Brief.
Die lustigen Weiber voll Windsor.
Was ist Schuld, daß wir dies liebenswürdige Stück auf unse-
rem Repertoir nicht haben? Hat Nicolai's gleichnamige Oper (allen
Respekt vor ihr) die originalen „lustigen Weiber" verdrängt, oder
sind unsre Bühnen-Direktoren der Ansicht, daß unter den drei Fal-
staff-Stücken dies das schwächste sei? Es ist wahr, der Falstaff
der „lustigen Weiber" ist (wenigstens bei uns) zu keiner rechten Po-
pularität gelangt und man hört selten eine Zeile aus ihm citiren;
aber es fragt sich, ob diese relative Theilnahmlosigkeit wirklich die
Ursach oder nicht vielmehr die Folge seines Nicht-Aufgcführtwcrdcns
ist. Man gebe es und die beredten Worte, mit denen der unglück-
liche Liebhaber die Schrecken seines Aufenthalts im Waschkorb, be-
graben unter schmutziger Wäsche, schildert, werden bald eben so viele
Freunde finden wie: „Heinz, Du kennst meine alte Auslage" oder
„elf in Steifleinen" :c. Eins haben die lustigen Weiber unbe-
dingt voraus: sie sind aus einem Guß. Es fehlt ihnen jene
Gedoppeltheit, die ich an Heinrich dem Vierten nicht tadeln mag,
(gegenthcils) die aber eine nach allen Seiten hin abgerundete Auf-
führung desselben sehr erschwert, wo nicht unmöglich macht. Hier
sind keine Northumberlands, Worcester und Vernons, die man lieber
gehen wie kommen sieht, sondern Spielrollen sammt und sonders,
Rollen, wie sie jedem passen, und selbst von mittelinäßigen Kräften
kaum verdorben werden können. Im Sadlers-Wells-Theater zäh-
len „die lustigen Weiber" mit zu den allerpopulärsten Stücken und
werden bejubelt und beklatscht von Anfang bis zu Ende. Parallelen
kann ich nicht ziehen, da man, wie gesagt, das Stück bei uns nicht
giebt. So sei denn nur hervorgehoben, daß die beiden Scenen
Falstaffs mit der an ihn abgesandten Frau Hurtig, dann seine erste,
mit der Retirade in den Waschkorb endende Liebesaventüre und end-
lich die Scene, wo er dem Mr. Ford die Schrecknisse des Aufent-
halts im Waschkorb erzählt, zu ganz besondrer Wirkung kamen. Die
Clowns (Bardolph, Pistol, Nhm und der Garter-Wirth) waren
vortrefflich wie immer; vor allein Phelps als Falstaff. Ueber diesen
Falstaff noch ein paar Worte. Die äußere Erscheinung ist dieselbe
wie in Heinrich dem Vierten, aber seine ganze Haltung ist verschie-
den davon. Wenn er dem Prinzen gegenüber (unbeschadet der eigen-
thümlichen Phelpschen Auffassung, die ich geschildert habe) im We-
sentlichen doch immer das joviale Laster repräsentirt, so ha-
ben wir hier das ehrwürdige Laster. In Heinrich dem Vier-
ten ist er der Anhängsel eines Prinzen; verachtet wenn auch
Litcratur-'vlall.
belacht; so recht eigentlich was wir mit „unter durch" bezeichnen.
Das fühlt er und nimmt sich danach. In den „lustigen Weibern"
hingegen ist er vor allen Dingen Sir John Falstaff, ein Baro net,
ein Eavalier, der die Dinge, selbst die Gemeinheiten mit Decenz
betreibt und sehr ruhig dabei bleibt, theils weil ihm solche Affairen
nichts neues sind, theils weil er wirklich an die „Ehre" glaubt, die
er gesonnen sei den Bürgerfrauen anzuthun. Es ist alles cheva-
lereskes Geschäft und natürlich — kaufmännnisches Geschäft neben-
her. Das Geld des vorgeblichen Mr. Brookcs bleibt nu fond die
Hauptsache. Die unerschütterliche Seelenruhe eines schamlosen Cy-
nismus, der längst die Vorstellung von Recht und Unrecht verloren
und dafür die Sicherheit und Würde eines weißbärtigen Lasters ein-
getanscht hat, wurde vortrefflich gegeben. Keine komische Figur
dieser Falstaff, sondern ein Charakterbild. Lebenswahr durch und
durch.
Die Komödie der Irrungen.
Die Shakespeare'schen Komödien, wenn ein Abend zwei Lust-
spiele bringt: ein modernes und ein Shakespeare'sches, müssen den
Vortritt haben; einmal, rein von Huldigungs wegen, weil sie von
Shakespeare sind, zweitens, weil sie die Concnrrenz des modernen
Lustspiels, wenn es erträglich gut ist, doch eigentlich nicht er-
tragen können. Man mißverstehe diesen blasphemischen Ausspruch
nicht. Es fällt mir nicht ein, zwischen dem poetischen Werth
eines Shakespeare'schen und einer modernen Mittclguts-Komödie
überhaupt nur vergleichen zu wollen, aber der poetische Werth kommt
bei Theater-Dingen nicht allein in Betracht. Andres wirkt mit.
Was hilft es, die Augen gegen unleugbare Thatsachcn ver-
schließen zu wollen! Wir haben uns aus der Shakespeare'schen Zeit
hinausgelebt, gleichviel ob in besseres oder schlechteres hinein, und
moderne Komödien, selbst wenn sie mangelhaft sind, stehen unserm
Herzen näher. Dasselbe gilt von jeder passablen Posse. Es ist sehr
wahrscheinlich, daß die Zugstücke eines Angclh und Kalisch lange
vergessen sein werden, wenn „die Komödie der Irrungen" immer
noch lebt und ein dankbares Publikum findet, nichtsdestoweniger würd'
ich cs als Ueberbilduug des Geschmacks und forcirte Theilnahm-
losigkeit an dem eigensten Leben der Gegenwart bezeichnen, wenn
mir ein Landsmann versichern wollte, daß er sich im „Münchhausen"
oder in der „Reise auf gemeinschaftliche Kosten" schlechter unterhal-
ten habe, als in der „Komödie der Irrungen." Jene sind der stär-
kere Trumpf und deshalb noch einmal: die Shakespeare'schen Ko-
mödien müssen vorangehn.
Hiergegen verstieß die Direktion, die den Abend mit Sheridans
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Inhalt: Shakespeare aus der modernen englischen Bühne. Achter Brief. Die lustigen Weiber von Windsor. Die Komödie der Irrungen. — Gedichte.
LaScia passare. Von Robert Waldmüller. — Pariser Kaiserscizzen von Theod. Mnndt. — Unsere Zeit. Jahrbuch zum Convers.-Lexikon. F. A. Brock-
haus. — Drei Dank-Predigten rc., gehalten im I. 1757 von August Friedrich Wilh. Sack im Dome zu Berlin.
Shakespeare auf der modernen englischen Diihne.
Achter Brief.
Die lustigen Weiber voll Windsor.
Was ist Schuld, daß wir dies liebenswürdige Stück auf unse-
rem Repertoir nicht haben? Hat Nicolai's gleichnamige Oper (allen
Respekt vor ihr) die originalen „lustigen Weiber" verdrängt, oder
sind unsre Bühnen-Direktoren der Ansicht, daß unter den drei Fal-
staff-Stücken dies das schwächste sei? Es ist wahr, der Falstaff
der „lustigen Weiber" ist (wenigstens bei uns) zu keiner rechten Po-
pularität gelangt und man hört selten eine Zeile aus ihm citiren;
aber es fragt sich, ob diese relative Theilnahmlosigkeit wirklich die
Ursach oder nicht vielmehr die Folge seines Nicht-Aufgcführtwcrdcns
ist. Man gebe es und die beredten Worte, mit denen der unglück-
liche Liebhaber die Schrecken seines Aufenthalts im Waschkorb, be-
graben unter schmutziger Wäsche, schildert, werden bald eben so viele
Freunde finden wie: „Heinz, Du kennst meine alte Auslage" oder
„elf in Steifleinen" :c. Eins haben die lustigen Weiber unbe-
dingt voraus: sie sind aus einem Guß. Es fehlt ihnen jene
Gedoppeltheit, die ich an Heinrich dem Vierten nicht tadeln mag,
(gegenthcils) die aber eine nach allen Seiten hin abgerundete Auf-
führung desselben sehr erschwert, wo nicht unmöglich macht. Hier
sind keine Northumberlands, Worcester und Vernons, die man lieber
gehen wie kommen sieht, sondern Spielrollen sammt und sonders,
Rollen, wie sie jedem passen, und selbst von mittelinäßigen Kräften
kaum verdorben werden können. Im Sadlers-Wells-Theater zäh-
len „die lustigen Weiber" mit zu den allerpopulärsten Stücken und
werden bejubelt und beklatscht von Anfang bis zu Ende. Parallelen
kann ich nicht ziehen, da man, wie gesagt, das Stück bei uns nicht
giebt. So sei denn nur hervorgehoben, daß die beiden Scenen
Falstaffs mit der an ihn abgesandten Frau Hurtig, dann seine erste,
mit der Retirade in den Waschkorb endende Liebesaventüre und end-
lich die Scene, wo er dem Mr. Ford die Schrecknisse des Aufent-
halts im Waschkorb erzählt, zu ganz besondrer Wirkung kamen. Die
Clowns (Bardolph, Pistol, Nhm und der Garter-Wirth) waren
vortrefflich wie immer; vor allein Phelps als Falstaff. Ueber diesen
Falstaff noch ein paar Worte. Die äußere Erscheinung ist dieselbe
wie in Heinrich dem Vierten, aber seine ganze Haltung ist verschie-
den davon. Wenn er dem Prinzen gegenüber (unbeschadet der eigen-
thümlichen Phelpschen Auffassung, die ich geschildert habe) im We-
sentlichen doch immer das joviale Laster repräsentirt, so ha-
ben wir hier das ehrwürdige Laster. In Heinrich dem Vier-
ten ist er der Anhängsel eines Prinzen; verachtet wenn auch
Litcratur-'vlall.
belacht; so recht eigentlich was wir mit „unter durch" bezeichnen.
Das fühlt er und nimmt sich danach. In den „lustigen Weibern"
hingegen ist er vor allen Dingen Sir John Falstaff, ein Baro net,
ein Eavalier, der die Dinge, selbst die Gemeinheiten mit Decenz
betreibt und sehr ruhig dabei bleibt, theils weil ihm solche Affairen
nichts neues sind, theils weil er wirklich an die „Ehre" glaubt, die
er gesonnen sei den Bürgerfrauen anzuthun. Es ist alles cheva-
lereskes Geschäft und natürlich — kaufmännnisches Geschäft neben-
her. Das Geld des vorgeblichen Mr. Brookcs bleibt nu fond die
Hauptsache. Die unerschütterliche Seelenruhe eines schamlosen Cy-
nismus, der längst die Vorstellung von Recht und Unrecht verloren
und dafür die Sicherheit und Würde eines weißbärtigen Lasters ein-
getanscht hat, wurde vortrefflich gegeben. Keine komische Figur
dieser Falstaff, sondern ein Charakterbild. Lebenswahr durch und
durch.
Die Komödie der Irrungen.
Die Shakespeare'schen Komödien, wenn ein Abend zwei Lust-
spiele bringt: ein modernes und ein Shakespeare'sches, müssen den
Vortritt haben; einmal, rein von Huldigungs wegen, weil sie von
Shakespeare sind, zweitens, weil sie die Concnrrenz des modernen
Lustspiels, wenn es erträglich gut ist, doch eigentlich nicht er-
tragen können. Man mißverstehe diesen blasphemischen Ausspruch
nicht. Es fällt mir nicht ein, zwischen dem poetischen Werth
eines Shakespeare'schen und einer modernen Mittclguts-Komödie
überhaupt nur vergleichen zu wollen, aber der poetische Werth kommt
bei Theater-Dingen nicht allein in Betracht. Andres wirkt mit.
Was hilft es, die Augen gegen unleugbare Thatsachcn ver-
schließen zu wollen! Wir haben uns aus der Shakespeare'schen Zeit
hinausgelebt, gleichviel ob in besseres oder schlechteres hinein, und
moderne Komödien, selbst wenn sie mangelhaft sind, stehen unserm
Herzen näher. Dasselbe gilt von jeder passablen Posse. Es ist sehr
wahrscheinlich, daß die Zugstücke eines Angclh und Kalisch lange
vergessen sein werden, wenn „die Komödie der Irrungen" immer
noch lebt und ein dankbares Publikum findet, nichtsdestoweniger würd'
ich cs als Ueberbilduug des Geschmacks und forcirte Theilnahm-
losigkeit an dem eigensten Leben der Gegenwart bezeichnen, wenn
mir ein Landsmann versichern wollte, daß er sich im „Münchhausen"
oder in der „Reise auf gemeinschaftliche Kosten" schlechter unterhal-
ten habe, als in der „Komödie der Irrungen." Jene sind der stär-
kere Trumpf und deshalb noch einmal: die Shakespeare'schen Ko-
mödien müssen vorangehn.
Hiergegen verstieß die Direktion, die den Abend mit Sheridans
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