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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 31.1912-1913

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Klein, Rudolf: Die Grosse Berliner Kunst-Ausstellung
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https://doi.org/10.11588/diglit.7010#0031

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Die große Berliner Kunst-Ausstellung.

dem, was wir unter Kunst verstehen, klafft da-
her der gleiche Unterschied, wie etwa zwischen
der Tannhäuser-Ouvertüre, die im Sommer bei
Kroll gespielt wird, und der, die wir vom phil-
harmonischen Orchester unter Mucks Leitung im
Winter im Opernhaus hören. Nun ist es ganz
selbstverständlich, daß wir nicht von jedem Or-
chester solche Meisterleistung verlangen können
und daß es viele gibt, die sich mit der Darbietung
bei Kroll begnügen, daran erfreuen. Nur darf
man dem Kenner nicht verargen, wenn er der
Ansicht ist, die Maler am Lehrter Bahnhof zögen
aus der Natur nicht mehr heraus, verdeutlichten
ihren Eindruck nicht reiner und zwingender, wie
etwa der Dirigent und seine Leute bei Kroll es
der Kompositiondes großen Musikers gegenüber
vermögen. Das Motiv ist in beiden Fällen das
gleiche, der Unterschied liegt in der Behandlung.
Daß beide Veranstaltungen in unserer Zeit nicht
zu umgehen sind, sehen wir sehr wohl ein, und
solange es Akademien gibt, die ein Gros von
Malern heranziehen, wird es Ausstellungen
wie die „Große Berliner" geben. Man geht
aber fehl, wenn man behauptet, daß wir unge-
rechte Anforderungen stellen; wir begnügen uns
im Gegenteil mit dem schlichtesten Bild, sofern
es ein reines Kunstwerk ist. In diesem Falle
liegt es aber anders, nämlich genau so wie in
der Musik: ein Volkslied von einer Bauerndirn
rein und ausdrucksvoll gesungen (oder auch ein
moderner Gassenhauer von einem Kabaretti-
sten), ist für ein empfindliches Ohr bessere Kunst
als eine schlecht gespielte Wagnerouvertüre ; in
den Bildern am Lehrter Bahnhof handelt es sich
aber zumeist um eine Kunstgattung dieser Art,
und wenn ein renegatischer Berliner Kunst-
kritiker, für den früher in einseitigster Weise
nur der Leibl-Liebermann-Kreis existierte, sich
heute auf Seiten der „Großen" schlägt und be-
hauptet, dort beginne die „ Ideenmalerei" wieder,
das Handwerk sei diesen nicht Selbstzweck, so
beweist er damit nur, daß seine früheren Urteile
mehr auf der Schärfe seines Ohres als der Er-
ziehung seines Auges beruhten. Dieser Art
Ideenmalerei gab es am Lehrter Bahnhof stets,
und in derKammer der nachHunderten zählenden
Refüsierten wird sie wohl neun Zehntel aus-
machen. Wir dagegen haben am Lehrter Bahn-
hof von jeher nach den vereinzelten schlichten,
anspruchslosen Leistungen gesucht und diese
gern herausgestellt vor die Arbeiten jener, die
nicht wissen, daß sie den Aufgaben, die sie sich
wählen, garnicht gewachsen sind, daß sie diese
Themata, die nach der Kraft des Genies rufen,
mißhandeln, wie eine Dorfkapelle die 9. Sinfonie-
So ist es im Grunde nicht Sache des Kenners,
über derartige Ausstellungen zu urteilen — wie

gesagt, wer aus der Berliner Oper kommt, hört
das gleiche Stück nicht gern noch einmal in einem
Provinz-Theater, und doch erfreuen sich dort
Hunderte daran —; es ist eine Sache des großen
Publikums, je nach dem Geschmack des ein-
zelnen, sich das Seine auszusuchen. Hier fragt
jeder: „Was stellt es dar?"; schon gut, auch
wir sind für, nicht gegen den Stoff; nur vergesse
man nicht, daß nur die reinsten, stärksten und
oft schlichtesten Mittel dem Stoff seine eigensten
Geheimnisse entlocken, ihn zum Reden bringen.
Von diesem Standpunkt aus sind wir gerade
gegen das, was hier als Ideenmalerei auftritt, da
sie zumeist von solchen gepflegt wird, die dem
Einfachsten die Zunge nicht zu lösen vermögen,
und entscheiden uns für einen Teil der Land-
schaftsmalerei, die in diesem Jahre vornehm-
lich in den Düsseldorfer Sälen die Höhe eines
anerkennenswerten Durchschnitts erreicht. Es
kann den Düsseldorfer Künstlern garnicht hoch
genug angerechnet werden, daß gerade sie, die
so lange im Ruf der gemalten Histörchen und
Anekdötchen standen, alles derartige aus ihren
Räumen verbannten, auf die oben erwähnte
mißverstandene „Ideenmalerei" größtenteils
verzichten und sich als in einem unmittelbaren,
frischen und gesunden Verkehr mit der Natur
einführen. Ich möchte hier an erster Stelle die
beiden kleinen Landschaften von Ernst Hardt
nennen; besonders die „Im Sonnenschein", in
der mit bemerkenswerter Sicherheit und Ein-
fachheit des Striches und Klarheit und Bestimmt-
heit unaufdringlicher Töne das Motiv belebt
wird. Neben ihm könnte noch auf manches
andere Bild aus den Düsseldorfer Sälen ge-
wiesen werden. Wende ich mich nun gar zu der
„Sonder-Kollektion" von Gerhard Jansen
— der besten unter den heurigen —, so müßte
ich sagen: der Mann ist so talentvoll, daß seine
Art mir schon einen anderen Maßstab in die
Hand zwingt, einen, der sich bald gegen ihn
richten würde ; doch dann wäre ich genötigt, den
Standpunkt dieses Berichtes überhaupt zu ver-
lassen: Jeder Gegenstand zwingt uns den Grad
der Beurteilung auf. So wird der Ausstellungs-
besucher bald erkennen, daß er es in diesen
Bildern, neben wenigen anderen, mit dem Aus-
gereiftesten zu tun hat, dem er hier begegnet.

Die Ausstellung am Lehrter Bahnhof ist in
diesem Jahr reizloser als sonst wohl, weil an-
regende retrospektive Veranstaltungen fehlen.
Die Abteilung „Städtebilder" vermag jene nicht
zu ersetzen. In ihr bemerkten wir einiges von
Thoma, Trübner, Schönleb er, das der Er-
wähnung wert wäre. Im ersten großen Skulp-
turensaal dominieren zwei Figuren von Metz-
ner; doch nicht nur, daß sie hier das Niveau

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