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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 31.1912-1913

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Schaukal, Richard: Wem gehört die Stadt
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https://doi.org/10.11588/diglit.7010#0052

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Wem gehört die Stadt?

ruhigen, großen „Trattnernhofs" weggenommen
worden ist, verbleibt ihm nur noch das edle,
heitere Gebäude der Sparkasse als vereinsamtes
Zeichen einer besseren, einer vornehmerenZeit,
verbleibt ihm, der selbst nicht mehr ist. Wo
ist der Wiener „Graben"? Sieht man wirk-
lich noch die „Pestsäule", oder steht sie bereits
im Museum — dieser trübseligen Ausflucht der
ihre Grundlage, die Kultur, zerstörenden „Bil-
dung" —, sieht man noch die zwei lieben kleinen
Brunnen? Fremde finden jene nach dem Reise-
handbuch , Kinder, die im Wasser das ewige
Antlitz der Natur lockt, schenken diesen ihre
unverderbte Aufmerksamkeit; der Wiener von
heute sieht „Auslagen" und Bekannte, Stell-

wagen und „Autotaxi", je nachdem, kaum
mehr die einst hier herrschende Reihe der
Grabenfiaker, die wohl auch bald ins Museum
werden wandern müssen. Aber man beschwöre
einen alten Wiener und frage ihn nach dem
„Graben"; er würde ihn nicht finden. An sei-
ner Stelle stehen, dem Volk der Müßiggänger,
das nur in Augenhöhe Umschau hält, unsicht-
bar, die ordinären Gebäude, die viel von
falscher Prunksucht und hohem Zins, nichts aber
vom Wesen der einzigartigen Stätte aussagen,
die, wie der Stefansturm, wie die Reste der
rheresianischen und Josephinischen Noblesse,
Wien als ein kostbares Stück lebendiger Kultur-
geschichte hatte gelten lassen. Es handelt sich

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