A. NIEMEYER. AUSF: DEUTSCHE WERKSTATTEN.
MUSIKRAUM IM HAUSE A. KRAWEHL—ESSEN.
der Erfindergabe sonst gerade hier ein herrliches
Feld eröffnet worden wäre, geistreich erfüllt.
Eine Aufgabe, die gutes Gefühl und Klugheit
auf die Probe stellt. Nur der Teppich mit der
griechischen Kante, Stehlampe und Tischdecke
sind wohl neu. Der Architekt jeder Übergangs-
zeit muß sich auch auf Anpassung verstehen. Je
mehr er das Essentiale der alten Kulturform
erfaßt, um so besser legitimiert er sich auch in
der Anpassung als Künstler. Niemeyer ist so
ein Künstler. Er hat Kulturgefühl. Ein anderer
würde nicht bedacht haben, daß ein Raum jener
Zeit tiefe, dicke Wände haben muß. Auch den
bürgerlichen Ton des Ganzen hat er sicher
getroffen. Ist nicht pseudokaiserlich — nicht
pseudofranzösisch. So ist's nur gewiß, daß
unser Niemeyer, bei aller reichen Schöpferlaune,
auch einmal ein altes Schloß mit alten Möbeln
künstlerischer zu erneuern wüßte, als jene
Eklektiker der Form, die man richtiger schlechte
Tapezierer als Architekten nennen sollte. Nie-
meyer, der Sprößling eines alten gelehrten,
literarischen Geschlechts, besitzt als unver-
äußerlichen Vorzug Kultur der Form. Die kommt
ihm immer sehr offensichtlich zu gute.
Neben der Bibliothek ein Herrenzimmer.
Hier sind einige ältere Möbel Niemeyerscher
Erfindung. Ich schätze auch diese hoch — rein
historisch, denn schon damals, vor beiläufig
10 Jahren, als die Kurven des „Jugendstils"
so viel Verwirrung anrichteten, trat die Schaf-
fensart unseres Mitgründers der Secession und
der „Werkstätten" gegen unkultivierte Stürmer
und Dränger klar hervor. Zur Abbildung auf
Seite 61 nur das: Auch hier, wie in der Halle,
ist der Kamin echt, keine Attrappe. Niemeyer
haßt Scheinkamine und scheinbare Wachskerzen.
Er scheut sich aber nicht, alte Beleuchtungs-
und Heizungsmittel dort zu verwenden, wo sie
ihm geboten und künstlerisch-gemütlich uner-
setzlich erscheinen.
Der Musikraum, durch eine breite, vierflüge-
lige Schiebetür mit der Halle mehr verbunden
als von ihr getrennt, wird für alle Zeiten eine
künstlerische Auszeichnung Essens und der
Kultur seiner vornehmsten Bürger bleiben. Das
ist ein Raum von gleicher künstlerischer Be-
deutung für Niemeyer und unsere Zeit, wie die
Amalienburg für Cuvillies und das ganze Rokoko.
Das von Linien, Flächen, Formen abhängige
02
MUSIKRAUM IM HAUSE A. KRAWEHL—ESSEN.
der Erfindergabe sonst gerade hier ein herrliches
Feld eröffnet worden wäre, geistreich erfüllt.
Eine Aufgabe, die gutes Gefühl und Klugheit
auf die Probe stellt. Nur der Teppich mit der
griechischen Kante, Stehlampe und Tischdecke
sind wohl neu. Der Architekt jeder Übergangs-
zeit muß sich auch auf Anpassung verstehen. Je
mehr er das Essentiale der alten Kulturform
erfaßt, um so besser legitimiert er sich auch in
der Anpassung als Künstler. Niemeyer ist so
ein Künstler. Er hat Kulturgefühl. Ein anderer
würde nicht bedacht haben, daß ein Raum jener
Zeit tiefe, dicke Wände haben muß. Auch den
bürgerlichen Ton des Ganzen hat er sicher
getroffen. Ist nicht pseudokaiserlich — nicht
pseudofranzösisch. So ist's nur gewiß, daß
unser Niemeyer, bei aller reichen Schöpferlaune,
auch einmal ein altes Schloß mit alten Möbeln
künstlerischer zu erneuern wüßte, als jene
Eklektiker der Form, die man richtiger schlechte
Tapezierer als Architekten nennen sollte. Nie-
meyer, der Sprößling eines alten gelehrten,
literarischen Geschlechts, besitzt als unver-
äußerlichen Vorzug Kultur der Form. Die kommt
ihm immer sehr offensichtlich zu gute.
Neben der Bibliothek ein Herrenzimmer.
Hier sind einige ältere Möbel Niemeyerscher
Erfindung. Ich schätze auch diese hoch — rein
historisch, denn schon damals, vor beiläufig
10 Jahren, als die Kurven des „Jugendstils"
so viel Verwirrung anrichteten, trat die Schaf-
fensart unseres Mitgründers der Secession und
der „Werkstätten" gegen unkultivierte Stürmer
und Dränger klar hervor. Zur Abbildung auf
Seite 61 nur das: Auch hier, wie in der Halle,
ist der Kamin echt, keine Attrappe. Niemeyer
haßt Scheinkamine und scheinbare Wachskerzen.
Er scheut sich aber nicht, alte Beleuchtungs-
und Heizungsmittel dort zu verwenden, wo sie
ihm geboten und künstlerisch-gemütlich uner-
setzlich erscheinen.
Der Musikraum, durch eine breite, vierflüge-
lige Schiebetür mit der Halle mehr verbunden
als von ihr getrennt, wird für alle Zeiten eine
künstlerische Auszeichnung Essens und der
Kultur seiner vornehmsten Bürger bleiben. Das
ist ein Raum von gleicher künstlerischer Be-
deutung für Niemeyer und unsere Zeit, wie die
Amalienburg für Cuvillies und das ganze Rokoko.
Das von Linien, Flächen, Formen abhängige
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