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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 31.1912-1913

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Georgi, Walter: Der Impressionismus und die Kultur der Gegenwart
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https://doi.org/10.11588/diglit.7010#0157

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reakiion, die der Gegenwart auf dem Gebiete
der Malerei den Stil des Impressionismus und
seiner Weiterbildungen als Spiegelbild der geisti-
gen Bestrebungen um die letzte Jahrhundert-
wende schenkte.

Es soll nicht gesagt sein, daß der Impressio-
nismus allein neben anderen malerischen Aus-
drucksformen und erschöpfend das Leben
der Gegenwart manifestiere. Zweifellos aber
kommt er ihrem Wesen am nächsten, jenem
Wesen, das er erfaßte, als es aufzudämmern
begann, und dessen Entwicklung auch die seine
wurde. Er ist die logische Konsequenz jener
auf wissenschaftlicher und sozialer Basis be-
gründeten Umwertung fast aller Güter und
Begriffe, die das gesamte Fühlen und Denken
von dem Ballast abgegriffener Ideale und blasser
Romantik befreite und ihm natürlichere Bahnen
wies. Man hatte das vegetative Dasein im Un-
wirklichen statt, der Wille zum Leben ergriff
den einzelnen mit einer noch niemals in gleicher
Hingebung auf die Realitäten des Daseins hin-
zielenden Energie. Das war die Geburtsstunde
des Naturalismus, des wissenschaftlichen, poli-
tischen, sozialen und künstlerischen Naturalis-
mus. Hand in Hand damit ging ein Forscher-
drang auf allen Gebieten, der bis in die ver-
borgensten Winkel hinabstieg und die Ent-
deckung heraufbrachte, daß jegliche physische

Erscheinung mit dem Weltganzen zu einer
unzertrennlichen Einheit verbunden sei. Immer
tiefer fühlte sich der einzelne als ein Glied des
Ganzen, durch welches das All seine Offen-
barungen gibt. Ein naturalistischer Pantheismus
entwuchs dieser Denkungsweise, die alle Dinge
miteinander in Verbindung brachte und in ihr
die Idee des Göttlichen erkannte.

Selbstverständlich ging in dieser Zeit der
wissenschaftlichen und literarischen Hinneigung
zum Naturalismus die bildende Kunst nicht ver-
alteten Idealen nach. Die Malerei der Ver-
gangenheit hatte die Gegenstände nur als tote
Einzelheiten ohne lebendigen Zusammenhang
mit der Gesamtheit erfaßt und wiedergegeben.
Der Impressionismus empfand mit demokrati-
scher Wertung des Stoffes das Leben der Dinge,
wie es in ihren äußeren Erscheinungsformen zu-
tage tritt und die Einzelheiten miteinander ver-
bindet. Den vergangenen Generationen jede
echte Naturempfindung absprechen zu wollen,
wäre ungerecht. Sie zeigen aber meist einen aus-
gesprochenen Mangel an innerer Unberührtheit
zu naiver Naturbetrachtung; ihr Kunstwollen
stand oft allzusehr unter klassizierenden oder
gar moralisierenden Tendenzen, sodaß ihr Sinn
für das gegebene Einfache sich auf ein Minimum
reduzierte. Erst der Impressionismus trat ohne
Nebenabsichten als echtes Kind seiner Zeit an

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