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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 31.1912-1913

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Georgi, Walter: Der Impressionismus und die Kultur der Gegenwart
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https://doi.org/10.11588/diglit.7010#0164

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Der Impressionismus und die Kultur der Gegenwart.

hemmenden Fesseln der ausgesprochenen Linie
auf den Bildern der Impressionisten und ermög-
lichte, frei von a 11 e r K o n v en t io n , jene
Hymnen auf den Zusammenhang des Lebens, die
auch die Dichter jener Zeit mit eruptiver Gewalt
hinausschleuderten, frei von der altgeheilig-
ten Gebundenheit der Verse im Reim, den-
noch zusammengehalten von dem harmonischen
Rhythmus aus dem Reiche einer geschauten
Natureinheit.

Die naturalistische Bewegung im letzten Vier-
tel des vorigen Jahrhunderts verlangte das
höchstmögliche Maß an Naturwahrheit ohne
Wiedergabe tieferer seelischer Erlebnisse im
Kunstwerk. Man forderte strengste Objektivität
von dem schaffenden Genie. Das übervolle
Herz der Dichter war nur selten im Stande,
diesem Verlangen jederzeit gerecht zu werden.
Der Impressionismus aber kam unter allen
Künsten dem künstlerischen Programm seiner
Zeit am nächsten. Er begnügte sich in reiner
Malerei mit dem getreuen Abbild des Natür-
lichen, ohne sein Herzblut an dem Dargestellten
zu verlieren. Der ursprüngliche Impressionismus
versuchte niemals hinter die Grenzen der Er-
scheinungen zu dringen. Ob dieses Festhalten
der reinen Daseinsform in Verbindung mit der
Negation des Seelischen der Endzweck aller
Kunst ist, ist eine andere Frage. Obwohl man
darin der geistigen Forderung einer Epoche
gerecht wurde, so hat doch die Folgezeit eine
andere Antwort hierauf gefunden.

Mit dem Neoimpressionismus erlangte der
naturalistische Impressionismus die letzte er-
reichbare Stufe äußerer Vervollkommnung. Er
erinnert an manche ästhetisierende Richtung in
der modernen Literatur, die in einer raffinierten
Auswahl sprachlicher Finessen alles Heil er-
blickte. Die unausbleibliche Reaktion mußte
der Notwehr der bis dahin zurückgedrängten
seelischen Empfindung entspringen. Indem der
Naturalismus dem gesamten kulturellen Leben
zu einer gesunden Blutauffrischung verholten
hatte, war seine Mission erfüllt. Die Seele des
Einzelindividuums verlangte nun wieder ihre
Rechte. Der einzelne sucht sich mit dem
Ganzen wieder tiefer auseinanderzusetzen und
mit seiner Empfindungswelt in die pantheistische
Einheit aller Dinge einzudringen, bis er die
subtilen Fäden, die die eigene Seele mit dem
Wesen der Gesamtheit verbinden, entdeckt.
Philosophie, Literatur, Musik und bildende
Kunst gehen hier die gleichen Wege. Als der
erste unter den Impressionisten verläßt van
Gogh jenen extremen Naturalismus und legt
die Seele der Landschaft bloß, oft mit einer
Unerbittlichkeit der forschenden Empfindung,

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die hinter den Härten einer Vivisektion um
nichts zurücksteht. Cezanne findet trotz aller
Belebung der Fläche seine Seele in der lyrisch-
mystischen Stimmung der Umwelt wieder, an
deren Vergeistigung er seine Kräfte setzt.
Gauguin und die Expressionisten schreiten
mit Erfolg in der Entdeckung des Seelischen
fort. Die Silhouette kommt wieder zu Ansehen
und wird unschätzbares Mittel und Symbol des
geistigen Ausdrucks. Das Äußere ordnet sich
einer gestaltenden inneren Dynamik unter, es
ist nicht mehr Ziel, sondern Mittel der Kunst.
Damit sind die ursprünglichen Forderungen des
Impressionismus zu Gunsten des nach Ausdruck
ringenden seelischen Gehalts verlassen, eine
Entwicklung, die die geistige Bewegung der
fortgeschrittenen Kultur mit ihrem bestimmten
Willen nach Vertiefung mit sich brachte. Der
Schritt von der reinen Form zu der Weltidee
im einzelnen sichtbaren Glied des Ganzen, von
der materiellen Natur zur durchgeistigten Natur,
ist getan. Über den Impressionismus hinweg
drängt die Kunst zu einer neuen Stiläußerung,
die die Monumentalität eines Strebens nach
hohen Zielen umfaßt, dabei aber den sichtbaren
Einfluß der Malerei des schnell erfaßten Ein-
drucks nicht abzuleugnen vermag. Diese ex-
pressionistischen Bestrebungen sind die ersten
Anzeichen einer neuen Kultur, die ihre religiös-
künstlerische Kraft dem erstarkten vergeistigten
Pantheismus der Gegenwart verdankt.

Es fehlt uns heute noch der zeitliche Ab-
stand, um über die Lebensfähigkeit dieser
neuesten Kunstrichtung ein abschließendes voll-
wertiges Urteil zu geben. Das Experiment
herrscht allenthalben noch vor. Die bereits
erzielten Erfolge berechtigen zu der Hoffnung
auf eine der Vergangenheit zum mindesten
ebenbürtige Kunst. Auswüchse sind, wie bei
jeder vorwärts drängenden Entwicklung, nicht
zu vermeiden. Das zeigt gerade in letzter Zeit
die exzentrische Erscheinung des Kubismus
nicht minder wie die des Futurismus. Dem
strebenden Genie aber sind die Fehler der
anderen der beste Lehrmeister, umsomehr als
die Erkenntnis des falschen Weges schon ein
Fortschritt zur Vervollkommnung bedeutet. — g.

&

Die letzte höchste Aufgabe des Bildhauers bleibt
es immer, dem Steine Leben zu verleihen. Alles
andere, porm, Gruppierung, Verhältnisse usw., sind
ja nur die Mittel zu diesem Endzweck, und da sollte
man allerdings denken, daß nur der, der mit dem
feindseligen Material gerungen hat, diesen Triumph
erreichen könnte. Ich glaube, daß das Problem der
Beherrlbbung des Materials noch heute ebensosehr
Aufgabe der bildenden Kunst ist wie zu allen
anderen Zeiten.......... HANS v. MAREES.
 
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