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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 31.1912-1913

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Michel, Wilhelm: Vom Schmuck
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https://doi.org/10.11588/diglit.7010#0180

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ARCHITEKT C. K. A. VoYSEY LONDON.

LANDHAUS LITTLEHOLME MIT TERRASSEN-ANLAGE.

VOM SCHMUCK.

Schmuck ist uns vielleicht nicht nur wegen
seiner Materialreize so anziehend, sondern
in erster Linie wegen seiner innigen Verbindung
mit dem Menschen. Er ist der erste und der
treueste Begleiter des Menschen auf dessen
jahrtausendelanger Wanderung aus der Nacht
des Tierdaseins zu höchster Vervollkommnung.
Aus Gräbern, die das Gebein längst verzehrt
haben, holen wir kunstvolle Spangen, Armreife,
Ringe, Ketten und Diademe ans Licht. Von
großen, wichtigen Kulturstufen der Menschheit
ist uns nichts geblieben als der Schmuck, der
früher auftaucht als die Kleidung und dessen Be-
arbeitung daher auch am frühesten zur Meister-
schaft gedieh.

Noch klarer ist die innige Verbindung des
Schmuckes mit dem Menschen in seinen Formen
selbst ausgesprochen. Denn diese wiederholen
nur die Formen der wesentlichen Teile des
menschlichen Leibes, sie sind ein Nachhall
menschlicher Körperformen. Wie ein Echo der
Rundung des Armes ist die ihn umschließende
Spange, die Ringe fixieren den Querschnitt des
Fingers, der Gürtel mißt den Umfang des Leibes;

der wogende Busen und der zarte Hals der
Frauen gestalteten die Kette und den Behang
aus Goldblättchen und edlen Steinen, und die
Krone endlich wiederholt den Umfang des
Hauptes.

So ist der Schmuck historisch und seiner
Verwendung nach des Menschen treuester Be-
gleiter geworden. Und von dieser innigen
Verbindung her hat er das Sprechende, Bedeu-
tungsvolle und Ausdrucksvolle erhalten, das
ihm anhaftet. Unter allen toten Dingen ist der
Schmuck so das lebendigste geworden. Oft er-
scheint er als Symbol, oft wird er zum Amulett,
zur Waffe, zum Verräter, zum Fluche, zum
Träger süßer und schrecklicher Geheimnisse.
Was knüpft sich nicht allein an die einfachen
Reifen, die die Finger schmücken, an wunder-
samen Bedeutungen und Ereignissen! Ringe
geben Macht über irdische und außerirdische
Dinge, sie dienen als Erkennungszeichen, sie
bringen Fluch und Segen und spenden oft genug
den tödlichen Saft, der von aller Not befreit.
Als Tiberius im Sterben lag, heißt es, zog er
den Ring, das Zeichen seiner Macht, vom Finger,

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