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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 31.1912-1913

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Michel, Wilhelm: Vom Schmuck
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https://doi.org/10.11588/diglit.7010#0184

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Vom Schmuck.

ARCHITEKT C. F. A. VOYSEY—LONDON.

HALLE IM LANDHAUSE LODGE STYLE— BATH.

als besänne er sich, wem er wohl mit dem
Kleinod die Nachfolge in der Herrschaft über-
geben könne. Aber nach einem Augenblicke
vergeblichen Nachdenkens steckte er den Ring
wieder an und starb mit festgeschlossener Faust.
Die stumme Rolle, die das Kleinod in dieser
Anekdote spielt, ist sie nicht sprechender als
viele Worte!

Die Geschichte des Schmuckes liefert fast
„in nuce" eine Kulturgeschichte der Menschheit.

Roms luxuriöse Überfeinerung könnte kaum
besser gekennzeichnet werden als durch die
von Juvenal bezeugte Sitte, daß man im Sommer
andere und leichtere Ringe trug als im Winter.
Ähnlich aufschlußreich sind die Beobachtungen,
daß das Christentum die Gräber schmuckärmer
macht, da ja die Seele fortan alles ist und bei
ihrem Scheiden den Leib, dem die Heiden alle
Ehren des Lebenden erwiesen, als wertlose
Schlacke zurückläßt; daß ferner eine urwüchsige
germanische Goldschmiedekunst fehlt, da unsere
Altvorderen jegliches Handwerk mißachteten;
daß Karl der Kühne, Herr des üppigen Burgund,
einen Siegelring von einem halben Pfund Ge-
wicht trug; daß schließlich in der neuesten Zeit,

der Ära einer rein materialistischen Zivilisation,
der Schmuck nur nach seinem Geldwerte, nicht
mehr nach dem Werte der Arbeit und nach dem
Geschmacke seiner Herstellung geschätzt wird.

Noch etwas anderes kommt hinzu, um den
Schmuck kulturell und kunsthistorisch bedeu-
tungsvoll und aufschlußreich erscheinen zu
lassen. Die Techniken der Edelmetallbearbei-
tung waren bei den alten Ägyptern und im frühen
Byzanz etwa genau so entwickelt wie heutigen
Tages. Fortschritte sind so gut wie nicht mehr
gemacht worden. Eben deshalb aber gibt der
Schmuck den reinsten Aufschluß über das Kunst-
wollen und die stilistischen Absichten seiner
Schöpfer. Die Formgebung wird durch keinerlei
technische Hemmnisse gestört oder abgelenkt,
oder vielmehr,durchkeinegrößerenHemmnisse,
als sie auch für uns noch bestehen. Was im
Schmuck erscheint, ist daher der reine Form-
geist der alten Jahrhunderte.

Vergleicht man von diesem Standpunkte aus
die heutigen Erzeugnisse mit den früheren, so
zeigt sich mit untrüglicher Deutlichkeit, daß
unser Kunstwollen beträchtlich barbarischer ist,
als das jeder vorangegangenen Epoche.

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