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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 31.1912-1913

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Westheim, Paul: Das Pathos der Gärten
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https://doi.org/10.11588/diglit.7010#0214

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Das Pathos der Gärten.

damit als Entartungsepisode verschwinden zu
wollen. Mit Recht, denn das Gartenideal aller
Zeiten war die architektonische, die bewußte
Disziplinierung. Im Mittelalter hatte man viel-
leicht nicht den Mut und die Mittel, um einem
schwierigen Gelände den Idealplan aufzuzwin-
gen. Man unterwarf sich der gegebenen Situa-
tion. So konnte es vorkommen, daß der Garten
durch Berge, Täler oder einen Fluß von dem
Haus getrennt war. Zwischen der Burg, die auf
der Höhe lag, und der quadratischen Garten-
ebene — eine andere Form hätte man damals
nicht für vollwertig angesehen — konnten aus
solch äußerlichen Ursachen wohl weite Entfer-
nungen liegen, was aber nichts an der Tatsache
änderte, daß man diesen abgetrennten Garten-
teil streng und klar gliederte. Die quadratische
Form wird von der Renaissance übernommen,
die in ihr lineare
Parterre - Orna-
mente zu entwik-
keln beginnt. Die
Freude an diesen
Parterre - Zeich-
nungen ist zu be-
greifen aus der
Gewohnheit, den
Garten in der
Aufsicht zu ge-
nießen. Man pro-
meniert auf einem
wallartigen Um-
gang und erfreut
sich von hier oben
aus an der kunst-
vollen Ornamen-
tik, die in jedem
Kompartiment —
im Quirinalgarten
mögen es wohl
hundert gewesen
sein! — anders
war. Erst das Ba-
rock verknüpft
dieses lose Ne-
beneinander zu
einer majestä-
tisch kühnen Ein-
heitlichkeit. Die
Felder werden
axial und sym-
metrisch auf das
Haus bezogen.
Man schafftweite

Perspektiven,
mächtige Hori-
zonte, Kaskaden,

ENTff: e. J. WIMMER.

ausf : wiener werkstatte.

Treppenanlagen; Abhänge und Gefälle schaffen
lebhafte Bewegungsrhythmen. Man bevorzugte
die ungewöhnliche Situation und war begeistert
über die mühsame und originelle Bewältigung.
Bei allem Streben nach Zusammenfassung sucht
man gleichzeitig Kontraste, Überraschungen zu
schaffen. Die Eindeutigkeit ist als Monotonie
verpönt. Die Taxusgänge, Boskette und Alleen
sollen wie die Kabinette des Hauses zugleich
intim und zeremoniös wirken. Im Gegensatz
zur Formlosigkeit der freien Natur war hier
alles einem straffen, autokratischen Willen zur
Form unterworfen. Zopf und Puderquaste
hängen im Raritätenkabinett. Der moderne Gar-
tengestalter, der eine architektonische Diszipli-
nierung anstrebt, kann gewiß nicht zurückgreifen
auf das Pathos des Barock. Das neue Lebens-
gefühl, das auf Bürgerlichkeit eingestellt ist,

will im Garten
ganz andereWün-
sche befriedigt
sehen. Der kleine
Rahmen, den un-
sereiner sich um
sein „Eigenheim"
legen kann, dient
ja viel weniger
der Repräsenta-
tion als der Mu-
ße , der persön-
lichen Hygiene,
der Weltabge-
schiedenheit.
Statt des großen
Rhythmus, der
das moderne Da-
seinauf allenGas-
sen umrauscht,
sehnen wir uns im
Garten nach trau-
lichen Stimmun-
gen. Aus der
Herrschaft über
die Natur ist all-
mählich eine Lie-
be zur Natur ge-
worden. — w.

Können Schön-
heit und Nützlich-
keit nicht vereinigt
leben, wie sie in
Bauwerken, wie sie
im Körper des Men-
schen eng verbun-
blumenständer aus messing. den wohnen? —

Leonardo da Vinci.

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