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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 31.1912-1913

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Hirschfeld, Georg: Neue Puppen von Lotte Pritzel, München
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https://doi.org/10.11588/diglit.7010#0268

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LOTTE
PRITZEI.-
MÜNCHEN.

NEUE PUPPEN VON LOTTE PRITZEL-MÜNCHEN.

Masken und Kinder — dies ist es eigentlich,
was wir in unserm lauten und deutlichen
Leben vorüberziehen sehen. Die Majorität der
robust Alltäglichen, deren geheime Gedanken
dem Geld gehören, wenn auch ihre geäußerten
geistig ausgeputzt sein mögen — sie kümmert
uns nicht. Wir müssen von den Wenigen, die
in offenbarer Qual ihre Masken tragen und
irgendwie noch Kinder sind, erfahren, wie das
Lied unseres Daseins klingt. Beladen stehen
sie vor dem Schritt in die Freiheit, die ein un-
geheurer Abgrund ist. Die Geschöpfe unserer
Elternkämpfe haben sich bis an den Rand ge-
schleppt — jetzt heißt es zerschellen oder flie-
genkönnen. Wer wagte den Schritt? Die vielen
Verdorbenen, Gestorbenen. Im Sturze haben
sie die erste Flugkraft gespürt. Die anderen
aber, die Zögernden, Furchtsamen, Ahnungs-
vollen, bleiben stehen. Sie verbergen, was in
ihrer Seele schreit, und starren lächelnd in den
Abgrund hinunter, der auch ein wunderbarer

Kinderhimmel ist. Sie fühlen sich endlich sicher
in ihren Masken und taumeln doch ruhelos
durch Enttäuschung und Verlangen. Sie wissen
alles und möchten so töricht sein. Sie haben
alles genossen und schreien doch nach Gottes
Brot. So haben sie in ihrer dürstenden Sehn-
sucht doch den nie verwindlichen Unglauben.
So sind sie eigenen Willens und Marionetten
der Entwicklung, die sie so weit geführt hat.
Menschen und Puppen.

Man soll auf die Künstler blicken, die es
irgendwie vermögen, in Ernst oder Spott, das
Leid der Zeitseele zu deuten. Geschöpfe zu
schaffen, die typisch zusammenfassen, was in
Myriaden Individuen verwirrt. Unsere „Kin-
der", unsere Masken, unsere Puppen. In Mün-
chen offenbart sich der alte Spieltrieb immer
wieder neu und toll. Die Faschingsgeister rau-
nen und kichern auch noch durch die „ normalen "
Zeiten. Wie weit ist es vom müden Modeherrn
zum gepuderten Pierrot? Wie nahe haben es

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