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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 31.1912-1913

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Ritter, William: Ballettskizzen von Léon Bakst, Paris
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https://doi.org/10.11588/diglit.7010#0338

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Ballettskizzen von Leon Bukst—Paris.

weniger frei bewegt, wenn er eine relativ
moderne Handlung schildern will, so den
Carneval von Schumann z. B., wo wir mehr
den Eindruck bekommen, ältere Modezeitungen
des vorigen Jahrhunderts zu durchblättern.
Der hellenischen Antike steht freilich Asien
viel näher als unsere moderne Welt: an einem
Samurai hätte nötigenfalls ein Zuschauer der
der Bacchanalien teilhaftigen Stücke Aristo-
phanes oder ein Erzähler der milesischen Mär-
chen sein Gefallen finden können, nie aber ein
Stutzer aus der Zeit des Directoire, ein Dandy
von 1830 oder der „Löwe" von 1848. Man
kann sich leicht javanesische Tänzerinnen in
den berüchtigten Häusern Alexandriens oder
Rhodos vorstellen, nicht aber eine in Reifrock
steckende Soubrette oder ein Frauenzimmer-
chen mit Krinoline. Das vollkommenste was
die Welt seit der Athener Zeit als künstlerische
Übereinstimmung des Lebens und der Um-
gebung im Lichte eines frohen und normalen
Daseins je erblickte, war vielleicht Japan. Das
abendländische Mittelalter gab ebenfalls ein
schönes Beispiel der Einigkeit in Gedanken,
Beweggründen und Lebensweise, der Freude,
des Leides und der Buße, jedoch zum Besten
eines ganz und gar religiösen Ideals. Wir
sprechen hier vom Standpunkt des rein Mensch-

lichen, Physischen und Körperlichen aus. Spek-
takelstücke, wie sie uns Bakst vorführt, haben
selbstredend mit dem christlichen Ideal und
der aus demselben entsprungenen philosophi-
schen und ästhetischen Theorien nicht das ge-
ringste zu tun. Ich wiederhole es, sie bedeuten
eine deutliche Rückkehr zum sinnlichen Heiden-
tum. Daher auch ihre gesunde, ergötzliche
Kühnheit. Ängstliche Bedenken und Gewissens-
zweifel hemmen sie nicht. Ihre Schönheit und
Zweckdienlichkeit bilden ihr Unschuldskleid.
Sie zeigen uns keine ätherischen, sittsamen
Tänzerinnen mehr, keine im Mondschein sich
schwingendeTaglioni-Sylphide, keine anständig
provokante Spanierin wie die Fanny Eisler,
wenn sie mit ihrer berühmten „Cachucha" bei
unseren Großmüttern Anstoß und Verwunde-
rung erregte. Bakst stellt rund heraus Bacchan-
ten mit allen Merkmalen des tierischen Zu-
standes, wenn es sein soll. Er läßt auf das
Podium nicht mehr Scharen von „petites Car-
dinal", sondern die Lebensfülle der Natur stür-
zen. Wir sehen die Gestalten seiner Phantasie
so an, wie wir Satyrn und Ägipane in der
primitiven Waldung anstaunen würden. Tot
war der große Pan und ist einfach wieder auf-
erstanden. Keiner von uns denkt mehr daran,
ihn als teuflisch zu beschwören. — w. r.

leon bakst—paris. kostüm-skizze für das russische ballett.
 
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