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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 31.1912-1913

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Esswein, Hermann: Ludwig Kainer, München
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https://doi.org/10.11588/diglit.7010#0479

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Ludivio Kainer-München.

Thema platt zu walzen vermögen. Nicht die be-
hagliche Breite und die durch alles Kokettieren
mit dem Gewagten hindurchschielende Phili-
strosität dieser braven Feuilleton - Dionysier,
sondern die atemlose Erregtheit, die einen
Toulouse-Lautrec auf den nächtlichen Streif-
zügen durch seine Milieus begleitete, beseelt
Kainers im höchsten Sinne ethische Illustrations-
kunst, die aus wilden Orgien der Sinneseindrücke
mit deutschem Ernste, aber gottlob ohne deut-
sche Pedanterie, als die wesentlichsten Momente
die herausgreift, in denen aus den Rhythmen
desbacchisch hingerissenen Leibes ein Göttlich-
Seelisches vernehmbar wird, das jenseits aller
individualpsychologischer Ausdeutung steht.

Seine Blätter sind Dokumente jenes seltsam
dunklen Vergeistigungsprozesses, der unmittel-
bar aus dem Sinnlichsten, Trivialsten — Kainer
sieht von der dekorativen Prachtentfaltung
Baksts nichts, er sieht nur Farbe und Bewegung
— zu einem kaum mehr in Worte zu fassenden
Übersinnlichen vordringt. Die Orgie, der selbst
bei Toulouse oft noch übergenug des auf be-

stimmte Lokalitäten, bestimmte Personen fest-
gelegten aktuellen Charakters anhaftet, wird
zum zeitlosen Mysterium der Anmut, aber
der unerhört eigene, unerhört sinnenfesselnde
Sonderfall des Russischen Balletts verliert
sich durch Kainers Interpretation nicht ins
Allgemeine, Nebulose. Er vertieft sich my-
stisch zur Monumentalität der jählings festge-
haltenen Gebärde . . . konfrontiere sie sich nun
wie auf dem Blatte „Geist der Rose" mit der
fremdartigen Weite und Stille eines ganz in
Blau und Grün gehüllten Raumes, zucke sie in
steilen Rhythmen gegeneinander wie auf dem
Blatte „Scheherezade", oder erstarre sie, wie
wir auf dem einen Blatte aus „Petruchka", dem
linken, beobachten können, zu wunderlich ge-
hemmten Figuren, deren ungeheure Leiden-
schaft plötzlich gleichsam von Eis umschlossen
wurde. Daß Ludwig Kainer nicht nur den her-
ben, schier gewaltsamen Rhythmus der Linie be-
herscht, sondern auch den weichen, graziös
flutenden, mag die hier abgebildete Karneval-
zeichnung beweisen. — Bei aller Sparsamkeit

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