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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 31.1912-1913

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Servaes, Franz: Alte Städte und moderne Architekten
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https://doi.org/10.11588/diglit.7010#0485

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Alte Städte und moderne Architekten.

PROFESSOR EMANUEL VON SEIDL—MÜNCHEN.

niedergerissen wird. Das Niedergerissene oder
Niederzureißende hat aber immer wenigstens
das Eine für sich, daß es ein Altgewohntes,
im Stadtbilde Feststehendes, daher gewisser-
maßen Unkritisierbares, jedenfalls längst nicht
mehr Kritisiertes ist. Jedermann weiß, was er
daran hat. Und wenn er auch im täglichen
Vorüberschreiten nicht jedesmal einen Liebes-
blick dafür übrig haben mag, so fühlt er sich
doch gewissermaßen herausgefordert, jedenfalls
beunruhigt, wenn er hört, daß die gewohnten
Linien aus dem Stadtbilde schwinden, die ver-
traute Stätte, deren Schwelle und Treppen viel-
leicht von Vielen betreten wurden, in Schutt
sinken soll. Und mit bangen Lippen fragt er
sich: was soll dafür an dessen Stelle treten?
Diese Frage ist gewiß nicht unberechtigt. Es
sind in der Hinsicht im großen wie im kleinen
oft abscheuliche Geschmackssünden begangen
worden, und es ist gut, daß allmählich die Ge-
sinnung wach wird, dergleichen zu verhindern.
Mit systematischem Eifer bemüht sich dahin,
wohl in jedem Lande und jeder Provinz, eine

AUS DEM TEEHAUS J. V. SIEGLE—AMMERLAND.

behördlich geschützte Kommission zur Erhaltung
alter Baudenkmäler, die nützliches leistet, mag
sie sich auch oft mit platonischen Protesten
begnügen müssen. Denn wo das Finanzinteresse
erst reger angefacht oder gar der Spekulations-
teufel erwacht ist, da pflegen im bildungsstolzen
Deutschland Bedenken künstlerischer Art oft
mit überlegener Miene als müßige Spinnwebe-
fängereien abgefertigt zu werden.

Indes man soll sich zehnmal besinnen, ob
man das Recht hat, ein altes, charaktervolles
Gebäude, mag es auch keinen beträchtlichen
Kunst- oder Erinnerungswert darstellen, der
Vernichtung anheimzugeben. Erst wenn alle
einschlägigen Faktoren dafür sprechen — wo-
bei Verkehrs-, Hygiene- und Komfort-Rück-
sichten besonders ins Gewicht fallen — soll
man den Stab brechen, dann allerdings auch
der eigenen Zeit ihr Recht vorurteilslos zuteil
werden lassen. Damit kommen wir ins Zentrum
unserer Frage. Denn was das Recht unserer
Zeit gegenüber dem durch die Summe der Ver-
gangenheitbestimmten, überall sichtbaren archi-

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