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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 31.1912-1913

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Servaes, Franz: Alte Städte und moderne Architekten
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https://doi.org/10.11588/diglit.7010#0495

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Alte Städte und moderne Architekten.

hielte, bloß darum ganze Batterien von Flüchen
gegen sich entfesseln, weil seine nackte Schlicht-
heit gegen den veralteten Schwulst einiger
Nachbarhäuser deutlich absticht, oder vielleicht
gar ein nahes Barockmonument, mit verwegen
über Wolken turnenden Englein und Heiligen,
durch seine bloße Existenz zu verleugnen scheint.
In solchem Falle muß man die Entrüstungs-
wogen eben ruhig dahinbrausen lassen. Ist das
neue Kaufhaus wirklich gut, so wird es mit
Sicherheit seine mittelmäßigen Nachbarn über-
leben und nach hundert Jahren mit dem jetzt
scheinbar so feindlichen Barockdenkmal engste
Freundschaft schließen. Ist es schlecht, so
wird es wieder verschwinden. Denn die Zeit
wird kommen, die gegen diesen „alten Kasten"
so respektlos sein wird, ihn niederzureißen.

Dies sind nun scheinbar sehr radikale An-
sichten, die hier vorgetragen werden. Und doch
bezwecken sie nichts anderes, als der Kunst
unserer Zeit die Lebensluft zu lassen, deren sie
zu ihrer Entfaltung dringend bedarf. Sie bauen
sich auf dem Glauben auf, daß das Echte und
Notwendige in der Kunst allemal auch das

Dauernde und darum das Harmonische ist, nicht
bloß in sich selber, sondern auch in seinem
Verhältnis zu anderem. Eine alte Großstadt,
wie etwa das so sehr an Traditionen hängende
Wien, kann ja die Umwandlung in eine moderne
„City" garnicht von sich abwehren, weil ihre
ganze Existenz und Entwickelungsmöglichkeit
davon abhängt, daß sie mit der Zeit Schritt
hält. Soll sie sich etwa selbst für ein Museum
erklären, das anzutasten Frevel sei? Damit
hätte sie sich selber lebendig begraben. Eine
kleine, in den Winkel gestellte Stadt, wie etwa
das liebliche Rothenburg ob der Tauber, kann
man mit künstlichen Mitteln in seinem alten
Geschichts- und Stilcharakter konservieren.
Hier kommt es gar nicht darauf an, daß moderner
Pulsschlag sich zur Geltung bringe, im Gegen-
teil, hier wird ein jeder gern von vergangener
Romantik träumen. Aber wo dieses Träumen
verwehrt ist, wo täglich Weltgeschichte gemacht
wird, wo die Maschinen dröhnen und die Auto-
mobile rasen, da will unsere Zeit auch in der
Baukunst sich ausgedrückt sehen, da will sie
wahrhaft lebendig sein. — f. s.

professor emanuel von seidl -münchen. haus alff in stolberg.
 
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