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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 34.1914

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Kleine Kunst-Nachrichten
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https://doi.org/10.11588/diglit.7447#0092

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Kleine Kunst-Nachrichteti.

PARIS. Der Salon der Unabhängigen.
Der Salon des Artistes Independants hat zum
dreißigsten Male seine Zelte aufgeschlagen ; denn
dieser modernste Pariser Salon vertraut seine
Wunder keiner festen Ausstellungshalle an, sondern
legt Wert darauf, seine Leistungen unter einem
Zirkuszelte darzubieten. Diese Zelte, die bisher auf
dem Quai d'Orsay aufgebaut wurden, sind jeßt noch
weiter aus dem Zentrum der Stadt nach dem
Champ de Mars verlegt worden, und diese örtliche
Verlegung erscheint so ziemlich als die einzige
Neuerung der Ausstellung, die sich nun auch rein
äußerlich etwas abseits vom Wege befindet.

Natürlich nimmt der Kubismus immer noch den
größten Raum des Salons ein, und man kann sagen,
daß von den 3626 ausgestellten Werken gut ein
Viertel kubistisch gehalten sind. Troß dieses Massen-
ansturms läßt sich nicht leugnen, daß der Kubismus
sich bereits überlebt hat. Man vermißt Picasso.
Dieser Begründer des Kubismus hat den diesjährigen
Salon nicht beschickt, und man weiß nicht recht, ob
er damit andeuten will, daß er den Kubismus oder
den Salon der Unabhängigen oder beide über-
wunden hat. Wie dem auch sei, ein nicht kubi-
stisches Werk des Künstlers wurde dieser Tage bei
einer Aufsehen erregenden Versteigerung für 11500
Franken verkauft. Am Tage der Eröffnung konnte
man die kleine geduckte Gestalt des Meisters übrigens
im Salon sehen, wie er sich mit der Miene des falsch
verstandenen Vorbildes die Leistungen seiner kubisti-
schen Jünger betrachtete. In der Tat, es handelt
sich hier meist um Produkte blinder Nachäffung,
die keine ernste Beachtung verdienen. Unter den
ernst zu nehmenden kubistischen Werken kann
man eine extreme und eine gemäßigte Strömung
unterscheiden. Die extreme Richtung, die beson-
ders von Bolz und Mondrian vertreten wird, hat
den Kubismus fanatisch weiter entwickelt und ist
nun auf einem Gipfelpunkt angelangt, wo sie selbst
zugeben muß, daß es nicht mehr weitergeht. Ande-
rerseits macht sich in der „gemäßigteren" Strömung

eine Reaktion bemerkbar, die sachte den Rückweg
zum Realismus sucht. Die kubistischen Größen des
vorigen Jahres, die Meßinger, Gleizes, de la Fres-
naye, auch Kißling, der vorübergehend zu einer
Modegröße geworden ist, und van Dongen fangen
an, zu den natürlichen Formen zurückzukehren; ihre
Werke sind deshalb einigermaßen genießbar.

Nachdem der Kubismus so als überwunden be-
trachtet werden muß, erscheint es als natürlich, daß
man sich in diesem ultramodernen Lager bereits
nach einem würdigen Ersaß umsieht. So präsen-
tiert sich der Amerikaner Morgan Rüssel auf der
Ausstellung mit einem „Synchromismus", der sich
nur noch in Farbenreflexen auslebt. Der französische
Maler Robert Delaunay hat einen „Simultanismus"
erfunden, der die Gleichzeitigkeit der Bewegung im
Bilde festhalten will und der deshalb dem Futuris-
mus ähnelt, obwohl der Autor das nicht zugeben
will. Delaunay hat eine simultane Sonnenscheibe
ausgestellt, die er Bleriot gev/idmet hat und an der
dieser französische Flugzeugkonstrukteur sicherlich
seine Freude haben wird.

Diesen Simultanismus hat der Russe Archipenko,
der sich schon früher durch schlechte Wiße bemerk-
bar machte, in die Skulptur übertragen; er hat
einige „simultane" Skulpturen aus gelb und rot
bemaltem Weißblech ausgestellt, die Zirkuseindrücke
wiedergeben sollen. Dieser Künstler glaubte ver-
mutlich, weil er sich nun einmal unter einem Zirkus-
zelte befand, daß er auch einige Clownspäße zum
besten geben müsse; auf jeden Fall ist er nicht
ernst zu nehmen und gehört in die Reihe jener
Spaßmacher, die im Salon der Unabhängigen nie
fehlen. Den Vogel abgeschossen hat dieses Jahr
ein Maler, der die peinture pure, die reine Malerei,
erfand. Er hat ein Stück Leinwand ausgestellt, auf
der sich als „reine Malerei" ein paar Farbenkleckse
befinden. Glücklicherweise hat die vorsichtige Aus-
stellungsleitung an diese Stelle einen Notausgang
geschaffen, durch den man sich aufatmend ins Freie
zu retten vermag........ leon g. lery-paris.

g. martin-
karlsruhe.
lob.
 
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