Selbstporträts.
Möglichkeit der peinlichsten, künstlerischen Gewissens-
erforschung. — Diesem Hauptzweck des Selbstporträts
gesellt sich dann noch ein anderer: der Wunsch des
Künstlers nämlich, sein Äußeres für sich, seine Ange-
hörigen und Freunde festzuhalten. Dieser Wunsch ist
ebenso natürlich wie das Streben des Künstlers nach
möglichst großer Ähnlichkeit. Man sollte das wenigstens
meinen. Es gibt nun freilich heute wunderliche Käuze
genug, die allen Ernstes behaupten, ein Porträt brauche
nicht ähnlich zu sein, ja, es dürfe das nicht einmal,wenn
es künstlerisch sein wolle. Höchstens dürfe es, im bild-
lichen Sinne, dem Maler ähnlich sehen. Daran ist natür-
lich etwas Wahres, wie an jedem Unsinn. Aber man
braucht wohl nicht zu fürchten, für altmodisch zu gelten,
wenn man von einem guten Bildnis auch heute noch
Ähnlichkeit und malerische Qualitäten verlangt. Und
was von dem Bildnis im allgemeinen gilt, das gilt ohne
weiteres auch vom Selbstporträt. In vielen Fällen drängt
sich freilich das malerische Problem, das der Künstler
sozusagen an sich selbst lösen will, so stark in den
Vordergrund, daß der Gegenstand hinter der Dar-
stellung fast ganz zu verschwinden scheint. Vor allem
PETER TERKATZ-BERLIN. »MADCHEN« BRONZE.
Und dazu eignet sich die eigene Person,
das eigene Antlitz ganz besonders gut.
Nichts kennt der Künstler besser, und er
weiß deshalb im voraus, daß ihm in die-
sem Falle kein Flunkern hilft. Hier heißt
es ganz einfach: etwas können oder kläg-
lichversagen. Jeder tüchtige Mensch wird
solche Proben auf Herz und Nieren von
Zeit zu Zeit mit größtem Nutzen an sich
vornehmen; also auch der Künstler. Die-
ser hat bei keinem andern Modell die
Möglichkeit der strengsten Selbstkon-
trolle so sehr wie bei sich selbst, und
außerdem hat er noch den Vorteil, daß
dieses Modell nur tut, was er will, daß
es geduldig in jeder Stellung und Be-
leuchtung ausharrt. Das Wichtigste aber
bleibt immer: die jederzeit gegebene
PETER TERKATZ -BERLIN. »KAUERNDER KNABE« BRONZE.
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Möglichkeit der peinlichsten, künstlerischen Gewissens-
erforschung. — Diesem Hauptzweck des Selbstporträts
gesellt sich dann noch ein anderer: der Wunsch des
Künstlers nämlich, sein Äußeres für sich, seine Ange-
hörigen und Freunde festzuhalten. Dieser Wunsch ist
ebenso natürlich wie das Streben des Künstlers nach
möglichst großer Ähnlichkeit. Man sollte das wenigstens
meinen. Es gibt nun freilich heute wunderliche Käuze
genug, die allen Ernstes behaupten, ein Porträt brauche
nicht ähnlich zu sein, ja, es dürfe das nicht einmal,wenn
es künstlerisch sein wolle. Höchstens dürfe es, im bild-
lichen Sinne, dem Maler ähnlich sehen. Daran ist natür-
lich etwas Wahres, wie an jedem Unsinn. Aber man
braucht wohl nicht zu fürchten, für altmodisch zu gelten,
wenn man von einem guten Bildnis auch heute noch
Ähnlichkeit und malerische Qualitäten verlangt. Und
was von dem Bildnis im allgemeinen gilt, das gilt ohne
weiteres auch vom Selbstporträt. In vielen Fällen drängt
sich freilich das malerische Problem, das der Künstler
sozusagen an sich selbst lösen will, so stark in den
Vordergrund, daß der Gegenstand hinter der Dar-
stellung fast ganz zu verschwinden scheint. Vor allem
PETER TERKATZ-BERLIN. »MADCHEN« BRONZE.
Und dazu eignet sich die eigene Person,
das eigene Antlitz ganz besonders gut.
Nichts kennt der Künstler besser, und er
weiß deshalb im voraus, daß ihm in die-
sem Falle kein Flunkern hilft. Hier heißt
es ganz einfach: etwas können oder kläg-
lichversagen. Jeder tüchtige Mensch wird
solche Proben auf Herz und Nieren von
Zeit zu Zeit mit größtem Nutzen an sich
vornehmen; also auch der Künstler. Die-
ser hat bei keinem andern Modell die
Möglichkeit der strengsten Selbstkon-
trolle so sehr wie bei sich selbst, und
außerdem hat er noch den Vorteil, daß
dieses Modell nur tut, was er will, daß
es geduldig in jeder Stellung und Be-
leuchtung ausharrt. Das Wichtigste aber
bleibt immer: die jederzeit gegebene
PETER TERKATZ -BERLIN. »KAUERNDER KNABE« BRONZE.
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