DIE NEUE MÜNCHNER SECESSION.
München bringt etwas Neues hervor, und
dies Neue ist sehr beachtenswert.
Für einen, der seit Jahren den Stupor des
Münchner Kunstlebens voll gelinder Verzweif-
lung miterlebt hat, ist diese Möglichkeit etwas
Unwahrscheinliches. Sie ist es zweimal, wenn
er sieht, wie in dieser Stadt von Jahr zu Jahr
die elementarsten Voraussetzungen aller Kunst,
die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, politi-
schen, sich eher zurückbilden als vorwärts-
entwickeln. Wir wollen wirklich einmal auf
jede ästhetische Sentimentalität verzichten und
den gewissen Anzeichen die Bedeutung zuer-
kennen, die sie näher oder entfernter für die
Freisetzung künstlerischer Produktivität haben.
Zum warnenden Exempel: einige Leute zwei-
feln überhaupt an der Existenz einer ober-
bayrischen Volkswirtschaft; die Brauereiaktien
standen, wenn man recht hört, schon besser;
es verlautet sogar, die Firma Kathreiner,
deren Spezialitäten eigentlich in die oberbay-
rische Idylle passen, verlege ihren Millionen-
betrieb nach Berlin. Die einzige Möglichkeit,
Bayern zu industrialisieren und es damit in den
Rhythmus der Zeit zu ziehen — eine phäno-
menale Möglichkeit allerdings —, die elektro-
motorische Ausnützung der Wasserkräfte, wird
im besten Fall mit einer kleinbürgerlichen Hori-
zontlosigkeit behandelt. Das Münchner Künst-
lertheater — der Name ist bereits eine Affek-
tation — wird für drei Jahre an das Ensemble
Dumont-Lindemann aus Düsseldorf verpachtet,
damit den Fremden des Juli und des August
gezeigt werde, wie originell wir hier sind, wenn
wir nur wollen. Vor allem: man muß nicht
banausisch sein und nicht bloß den Glaspalast,
sondern auch den Kristallpalast in München ge-
sehen haben. Evoe Bacche! Nun weiß man
alles. Man weiß mindestens mehr, als wenn
man die Entwicklung des Schauspielhauses und
der auchliterarischen Kammerspiele verfolgt
hat. Ich persönlich habe noch nie so eine küm-
merliche Pläsiergründung gesehen. Man hat in
München leider nicht einmal den Impuls, wenig-
19U. XI. 1.
321
München bringt etwas Neues hervor, und
dies Neue ist sehr beachtenswert.
Für einen, der seit Jahren den Stupor des
Münchner Kunstlebens voll gelinder Verzweif-
lung miterlebt hat, ist diese Möglichkeit etwas
Unwahrscheinliches. Sie ist es zweimal, wenn
er sieht, wie in dieser Stadt von Jahr zu Jahr
die elementarsten Voraussetzungen aller Kunst,
die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, politi-
schen, sich eher zurückbilden als vorwärts-
entwickeln. Wir wollen wirklich einmal auf
jede ästhetische Sentimentalität verzichten und
den gewissen Anzeichen die Bedeutung zuer-
kennen, die sie näher oder entfernter für die
Freisetzung künstlerischer Produktivität haben.
Zum warnenden Exempel: einige Leute zwei-
feln überhaupt an der Existenz einer ober-
bayrischen Volkswirtschaft; die Brauereiaktien
standen, wenn man recht hört, schon besser;
es verlautet sogar, die Firma Kathreiner,
deren Spezialitäten eigentlich in die oberbay-
rische Idylle passen, verlege ihren Millionen-
betrieb nach Berlin. Die einzige Möglichkeit,
Bayern zu industrialisieren und es damit in den
Rhythmus der Zeit zu ziehen — eine phäno-
menale Möglichkeit allerdings —, die elektro-
motorische Ausnützung der Wasserkräfte, wird
im besten Fall mit einer kleinbürgerlichen Hori-
zontlosigkeit behandelt. Das Münchner Künst-
lertheater — der Name ist bereits eine Affek-
tation — wird für drei Jahre an das Ensemble
Dumont-Lindemann aus Düsseldorf verpachtet,
damit den Fremden des Juli und des August
gezeigt werde, wie originell wir hier sind, wenn
wir nur wollen. Vor allem: man muß nicht
banausisch sein und nicht bloß den Glaspalast,
sondern auch den Kristallpalast in München ge-
sehen haben. Evoe Bacche! Nun weiß man
alles. Man weiß mindestens mehr, als wenn
man die Entwicklung des Schauspielhauses und
der auchliterarischen Kammerspiele verfolgt
hat. Ich persönlich habe noch nie so eine küm-
merliche Pläsiergründung gesehen. Man hat in
München leider nicht einmal den Impuls, wenig-
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