Typus und Individualität.
ENTWURF U. AUS!'': WILHELM MELZER WIEN.
»LEDERARBEITEN MIT GOLDPRÄGUNG«
unverständlichen Entladungen des Genies zu
bekritteln. Durch die Kölner Diskussion ist
unter den vielen tüchtigen Helfern der deut-
schen Qualitätsarbeit der Respekt vor dem
Künstler neu gestärkt worden. Ein Respekt,
der dann besonders produktiv wirken kann,
wenn er die Hüter des Niveaus antreibt, nach
den Höhen sehnsüchtig zu werden. Die Aus-
stellung, auf deren Gelände die Werkbündler
spazierten und redeten, ist ein deutlich lesbares
Dokument für die Notwendigkeit solch einer
Anreizung der zufriedenen, wenn auch ge-
hobenen Mittelmäßigkeit zur Selbstkritik und
zum Fortschritt. Freilich: Vieles, was es auf
der Werkbundausstellung zu sehen gibt, läßt
den Wunsch nach einer rücksichtslosen Typi-
sierung, nach einem Verzicht auf alle Indivi-
dualität wach werden. Ein guter Typus ist ganz
gewiß wertvoller, als eine unzulängliche oder
gar unberechtigt freche Individualität.
Als Muthesius seine heiß umstrittenen
Thesen aufstellte, hat er zweifellos nicht daran
gedacht, die Freiheit der Künstler zu beein-
trächtigen. Wenn er in seinem ersten Leitsatz
sagt: „Die Architektur und mit ihr das ganze
Werkbundschaffensgebiet drängt nach Typi-
sierung und kann nur durch sie diejenige all-
gemeine Bedeutung wieder erlangen, die ihr in
Zeiten harmonischer Kultur eigen war", so will
er damit sicherlich nur die normale Produktion
der Vielen für die Vielen fassen. Das geht aus
dem weiteren Fluß seiner Thesen, in denen
von der „Allgemeinhöhe" des deutschen Ge-
schmackes und von dessen Verbreitung durch
Großgeschäfte dauernd gesprochen wird, ganz
deutlich hervor. Muthesius wollte auseinander-
setzen, welche Mittel benutzt werden könnten,
um den Absatz deutscher Qualitätsware zu
mehren und um des weiteren dieser Qualitäts-
ware so bald wie möglich die Wirkungskraft
eines geschlossenen Stils zu erwerben. Es war
mehr ein handelspolitischer als ein philo-
sophischer oder aesthetischer Vortrag, den der
verdienstvolle Präzeptor der deutschen Archi-
tekten, Fabrikanten und Handwerker gehalten
hat. Die Vorschläge, die er machte, um den
Auslandsmarkt zu gewinnen, waren wich-
tiger, als die theoretische Auseinandersetzung
über das, was auf die fremden Märkte ausge-
führt werden soll. Diese Vorschläge sind klug
380
ENTWURF U. AUS!'': WILHELM MELZER WIEN.
»LEDERARBEITEN MIT GOLDPRÄGUNG«
unverständlichen Entladungen des Genies zu
bekritteln. Durch die Kölner Diskussion ist
unter den vielen tüchtigen Helfern der deut-
schen Qualitätsarbeit der Respekt vor dem
Künstler neu gestärkt worden. Ein Respekt,
der dann besonders produktiv wirken kann,
wenn er die Hüter des Niveaus antreibt, nach
den Höhen sehnsüchtig zu werden. Die Aus-
stellung, auf deren Gelände die Werkbündler
spazierten und redeten, ist ein deutlich lesbares
Dokument für die Notwendigkeit solch einer
Anreizung der zufriedenen, wenn auch ge-
hobenen Mittelmäßigkeit zur Selbstkritik und
zum Fortschritt. Freilich: Vieles, was es auf
der Werkbundausstellung zu sehen gibt, läßt
den Wunsch nach einer rücksichtslosen Typi-
sierung, nach einem Verzicht auf alle Indivi-
dualität wach werden. Ein guter Typus ist ganz
gewiß wertvoller, als eine unzulängliche oder
gar unberechtigt freche Individualität.
Als Muthesius seine heiß umstrittenen
Thesen aufstellte, hat er zweifellos nicht daran
gedacht, die Freiheit der Künstler zu beein-
trächtigen. Wenn er in seinem ersten Leitsatz
sagt: „Die Architektur und mit ihr das ganze
Werkbundschaffensgebiet drängt nach Typi-
sierung und kann nur durch sie diejenige all-
gemeine Bedeutung wieder erlangen, die ihr in
Zeiten harmonischer Kultur eigen war", so will
er damit sicherlich nur die normale Produktion
der Vielen für die Vielen fassen. Das geht aus
dem weiteren Fluß seiner Thesen, in denen
von der „Allgemeinhöhe" des deutschen Ge-
schmackes und von dessen Verbreitung durch
Großgeschäfte dauernd gesprochen wird, ganz
deutlich hervor. Muthesius wollte auseinander-
setzen, welche Mittel benutzt werden könnten,
um den Absatz deutscher Qualitätsware zu
mehren und um des weiteren dieser Qualitäts-
ware so bald wie möglich die Wirkungskraft
eines geschlossenen Stils zu erwerben. Es war
mehr ein handelspolitischer als ein philo-
sophischer oder aesthetischer Vortrag, den der
verdienstvolle Präzeptor der deutschen Archi-
tekten, Fabrikanten und Handwerker gehalten
hat. Die Vorschläge, die er machte, um den
Auslandsmarkt zu gewinnen, waren wich-
tiger, als die theoretische Auseinandersetzung
über das, was auf die fremden Märkte ausge-
führt werden soll. Diese Vorschläge sind klug
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