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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 34.1914

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Loosli, Carl Alber.: Ein Protest schweizerischer Künstler
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https://doi.org/10.11588/diglit.7447#0417

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EIN PROTEST SCHWEIZERISCHER KÜNSTLER.

Unter dem Vorsitz Ferdinand Hodlers fand
letzthin die Generalversammlung der Ge-
sellschaft schweizerischer Maler, Bildhauer und
Architekten statt. Die Notwendigkeit, sich
gegen die Behandlung zu verwahren , die der
Künstlerschaft in den Kunstdebatten der Volks-
vertretung und durch einen Teil der Presse zu-
teil wurde, zeitigte einen „offenen Brief an die
eidgenössischen Räte". Die Hauptsätze dieses
Protests mögen hier wiedergegeben werden:
Hochgeachtete Herren,
„Sie haben sich in den letzten Monaten im
Schöße Ihrer illustren Versammlungen neuer-
dings eingehend mit Fragen der Kunst und der
Kunstpflege befaßt. Das war Ihr gutes Recht,
das wir Ihnen unter keinen Umständen be-
streiten möchten.

Allein, Sie taten es in einer Weise, welche
die Sachunkenntnis und das Übelwollen eines
Teiles Ihrer Herren Mitglieder in so unzwei-
deutiger Weise zum Ausdruck bringt, daß wir
nicht länger durch unser Stillschweigen in den
weiten Kreisen des Volkes die Meinung nähren
dürfen, als hätten wir Ihre Auslassungen als
einen gerechtfertigten Tadel verdient und ein-
stecken müssen. . . .

Einige Ihrer Mitglieder sind mit unserm Schaf-
fen nicht einverstanden. Man kann das sein!
Wir wissen, daß wir unsere Kunstabsichten
nicht ohne Kampf und Widerspruch durchsetzen
werden, und beklagen uns in keiner Weise über
das Mißverständnis, das große Kreise unserm
ehrlichen und mitunter entbehrungsreichen
Kunstschaffen entgegenbringen. Wir wissen,
daß jede neue Offenbarung auf dem Gebiete
der Kunst langsam reift, in uns selbst, die wir

19U. XII. 2.

schaffen, und in der Masse, die da genießt. —
Wir wollen Sie nicht durch Worte zu unsern
Anschauungen bekehren, sondern überlassen
es der Zeit, unser Schaffen zu richten und zu
sichten. In der Überzeugung, daß uns in unserm
Sturm und Drang manches Unvollkommene mit-
unterläuft , daß wir stets lernen und an uns
arbeiten müssen, um zu der Vollendung, die
wir anstreben, endlich zu gelangen.

Ob sie uns also verstehen oder nicht, ob wir
in unserm Schaffen der Ehre Ihrer Billigung
teilhaftig werden oder nicht, das muß uns, die
wir uns nur mit uns selbst und unserer Kunst
abzufinden haben, gleichgültig sein.

Aber, wir bestreiten Ihnen die sachliche Zu-
ständigkeit, darüber zu urteilen, und wir ver-
wahren uns, die wir ehrlich schaffen, gegen die
ausgesprochene Mißachtung, mit welcher Sie
uns behandeln. Dazu haben Sie weder die
Kompetenz noch das Recht.

Hochgeachtete Herren, wir bestreiten Ihnen
Ihre Zuständigkeit. Sie sind Industrielle,
Landwirte, Ärzte, Juristen und wir sind Künst-
ler. Das will sagen, daß Sie in künstlerischen
Dingen uns gegenüber genau so Laien sind, wie
wir Ihnen gegenüber auf all den Gebieten Laien
sind, welche den Inhalt Ihres Lebens und Wir-
kens ausmachen. Vor Ihrer bürgerlichen und
parlamentarischen Tätigkeit haben wir Hoch-
achtung und Ehrfurcht und keinem von uns
würde es einfallen, Ihnen auf Ihrem ureigenen
Tätigkeitsgebiete gute Ratschläge zu erteilen,
Sie zu benörgeln oder gar, wie Sie es uns gegen-
über tun, lächerlich zu machen und zu beschimp-
fen. Und doch ist hundert gegen eins zu wetten,
daß es unter der großen Zahl der schweizeri-

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