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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 34.1914

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Breuer, Robert L.: Die Cölner Werkbund-Ausstellung
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https://doi.org/10.11588/diglit.7447#0435

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Die Cölner Werkbund-Ausstellung.

ler und den Traditionsgetreuen gegen den
Revolutionär mobil machten, erinnern, um an
die Geburtsstunde des Deutschen Werkbundes
zu geraten. Er sollte eine Kampforganisation
der Modernen gegen die Veralteten sein; er
sollte alle die zusammenfassen, die der Über-
zeugung und des Willens waren, daß der neuen
Welt und dem neuen Menschen neue Formen,
neue Häuser und neue Möbel, neue Gärten und
neue Parke gebühren. Von Anfang an war der
Werkbund zum mindesten ebensosehr ein
Instrument der Sozialisierung, wie ein Schild-
buckel der die neue Menschheit witternden und
sie im Größten wie im Kleinsten aufspürenden
Künstler. Vom ersten Tage seines Bestehens
an glimmte im Deutschen Werkbund der Kon-
flikt, der während der Cölner Tagung so heftig
und fruchtbar zugleich sich entlud. Durch die
leidenschaftlichen Schreie der Individualitäten
zur Erkenntnis gebracht, wollten die Massen
das ererbte Joch früherer Stile und Typen ab-
werfen; sie wollten zu einem neuen Stil, zu
einem neuen Typ sich durchringen, die Künstler
aber meinten jeder für sich, diesen Typ geben
zu können. Eine Ausstellung des Deutschen
Werkbundes mußte von vornherein in den Kon-
flikt kommen, das Streben nach einem allge-
mein gültigen Niveau durch die berufenen und
nichtberufenen Gipfelsteiger und deren Herab-
spotten fördernd oder lähmend gestört zu sehen.
* * *

Es ist notwendig, sich auch noch einen Augen-
blick an die Situation und die Ergebnisse der
Brüsseler Weltschau vom Jahre 1910 zu er-
innern. Damals trat Deutschland zum ersten Mal
mit dem Anspruch, die Führung in allen Fragen
des guten Geschmacks und der Entwicklung
des Zeitstils zu beanspruchen, vor die erstaun-
ten Völker. Zwar hatten die Deutschen schon
in St. Louis etwas ahnen lassen von der ent-
scheidenden Wandlung, die sich bei ihnen seit
den Tagen der philadelphiaer Reuleaux-Briefe
vollzogen hatte; aber damals vermochten sie
noch nicht mit der Geschlossenheit, die das
Begehren einer kulturellen Hegemonie allein
rechtfertigen kann, aufzutreten. Nun brachte
Brüssel die Reife. Das Deutsche Haus, wie es
Emanuel von Seidl hingestellt hatte, war trotz
all der Mängel, die ihm anhafteten, inmitten
der internationalen Bauten die einzige von
der historischen Belastung befreite und dem
Charakter der Gegenwart nachspürende Archi-
tektur. Die Völker waren verblüfft; sie waren
bestürzt, als sie im Innern der deutschen Hallen
das Ereignis eines vielfältigen, mit jungem
Tatendrang zur Einheit strebenden Formen-
willens erlebten. Wie kamen die weißen Küras-

siere, die man bisher wohl für Meister des
Kasernendrills, im übrigen aber für Barbaren ge-
halten hatte, zu solcher Leistungsfähigkeit. Man
muß jene Tage miterlebt haben, das Kopfschüt-
teln der Franzosen und Belgier, das Erstaunen
ihrer Presse und den sofortigen Entschluß der
Pariser gegen solches Aufbegehren der Pickel-
hauben, das nicht zu erschütternde Können der
Nachkommen der Sonnenkönige in einer großen
Kunstgewerbe-Ausstellung an der Seine auf-
marschieren zu lassen. Der deutsche Stil, den
man nicht mehr leugnen konnte, den man zwar
(und vielleicht mit Recht) noch ein wenig unbe-
holfen, schwer und pathetisch fand, schien
Paris, den Vorort des europäischen Geschmacks,
zu bedrohen. Selbst die Engländer, die durch
ihre mit kühler aber gepflegter Sachlichkeit
organisierte Ausstellung hoher Qualitäten in
Brüssel ohne Zweifel mit ruhiger, fast phleg-
matischer Handbewegung den Siegespreis ein-
steckten, hätten, wenn sie zu solcher Regung
irgendwie befähigt wären, mit einigem Er-
staunen zu den Deutschen, die gestern noch
ihre gelehrigsten Schüler waren, die nun plötz-
lich als die Propheten eines eigenen Stils auf-
traten, hinblicken können. Jedenfalls: die
Deutschen hatten endgültig den schlimmen Ruf,
Förderer qualitätloser Massenfabrikation und
phantasielose Kopisten der Vergangenheit zu
sein, durch unbestreitbare, wenn auch hier und
da kuriose Leistungen zerstört. Die Möglich-
keit, daß, entsprechend dem Wandel, der sich
auf den wirtschaftlichen und politischen Ge-
bieten bereits vollzogen hatte, nun auch in dem
Komplex der Architektur die germanischen
Völker (inbegriffen die angelsächsischen und
skandinavischen) die Führung bekommen könn-
ten, wurde langsam wahrscheinlich. Die Fran-
zosen witterten bereits den Export der deut-
schen Schönheit. Die Deutschen hätten Narren
sein müssen, hätten sie die Sachlage nicht rich-
tig einzuschätzen gewußt. Es begann jetzt, als
eine Art liebenswürdiger Revanche für die
Manet und Monet, die Degas und Cezanne,
als Vergeltung für diese Väter der deutschen
Malerei, die endgültige Erledigung des franzö-
sischen Monopols in allen Angelegenheiten der
formalen Kultur. Wie zur Aufmunterung sol-
cher Einsicht kam die Nachricht, daß die ange-
drohte große Revue des französischen Kunst-
gewerbes vorläufig verschoben sei. Herr Poiret
eilte statt dessen nach Wien (das in diesen Zu-
sammenhängen zu Deutschland gehört) und
holte sich Anregungen, die er wohl pariserisch
frisierte, die aber doch bereits eine kleine
deutsche Invasion bedeuteten. Im Gegensatz
zu solcher Episode ließen die Franzosen ihren

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