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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 40.1917

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Prellwitz, K.: Die "Schlichte Einfalt"
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https://doi.org/10.11588/diglit.8539#0336
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BERLINER
PORZELLAN-
MANUFAKTUR.
KARTENSCHALE.
MODELL VON
FAUSER.

DIE „SCHLICHTE EINFALT".

Der Bürger! Wie, auf welche Art, nach wel-
chen Grundsätzen soll er sich entscheiden,
wenn ihm ein Drama, eine Plastik, ein Bild vor-
gelegt wird? War das Theaterstück gut, weil es
lang, weil es kompliziert, weil es mit vieler Mühe
und großem Raffinement zusammengebaut war ?
War es außerordentlich, weil es sich abrollte
vor exotischen Kulissen in phantastisch fernen
Ländern? War es bedeutend, weil es die Illu-
sion erregte oder weil es den Sinn auf die
nächste Wirklichkeit lenkte? Wenn man den
Künstler hörte, so war schätzenswert daran die
Form. Was aber war das, diese Form, woher
kam sie, wie war sie zu erkennen, wieso und
wozu da? Ich bin überzeugt, es ist niemals
vorgekommen, daß man einen Bauer vor eine
Fahrstuhlanlage gestellt und ihm zugemutet hat
zu entscheiden, was daran gut oder nicht gut,
falsch oder richtig wäre; aber man hat geglaubt
und glaubt es gelegentlich auch heute noch, daß
man ein ästhetisch ganz ungebildetes Publikum
nur vor ein Werk der Kunst zu stellen brauche,
um ein Wunder der Erkenntnis zu erleben.
Natürlich ist das naive, das unbewußt urteilende
Publikum ebenso eine Fabel wie der unbewußt
schaffende Künstler, der zu gelegener Zeit einem

Dämmerzustand verfällt, aus dem er schließlich
mit einem abgeklärten, in sich kristallisierten
Kunstwerk erwacht. So sehr man auch den
Glauben an das Blitzlicht des Genies haben
möge, so gewiß ist doch, daß aus der genialen
Intuition noch nie ein Meisterwerk geworden
ist ohne die bewußte und zielbewußte Organi-
sation der gesamten Kräfte. „. . . Erkenntnis
ist die erste Bedingung und sogenanntes naives
Künstlertum existiert wohl nur in Romanen.
Alle die großen Künstler, welche Geschriebenes
hinterlassen, Leonardo, Dürer, Alberti, Schu-
man, Schadow, Goethe, Herder usw. gaben
sich genau Rechenschaft über ihr Tun und ar-
beiteten nicht in den Tag hinein und wenn diese
artistoni es nötig fanden so vorzugehen, wieviel
mehr denn ..." (Stauffer-Bern). Solch Kunst-
werk wirklich genießen, das heißt, es im Er-
lebnis noch einmal nachschaffen, setzt aber
ebenfalls eine Organisation der Aufnahmeor-
gane voraus, die der Mensch von Natur aus so
wenig mitbringt wie die religiöse, philosophische
oder juristische Einsicht.

Die „schlichte Einfalt", die Diderot schon
propagierte, alsmaninVersaillesnochschlemmte
und schnäbelte, die ganze Diderotsche Ästhe-
 
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