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SCHILDERUNG DES FREIERMORDES

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Freier mit ihren Speeren töten, folgt hier (297—309) wieder
eine verdächtige Episode, die durch den Satz eingeleitet wird,
daß Athena von der Decke herab ihre Ägis den Freiern ent-
gegenhält und diese dadurch erschreckt und des Verstandes
beraubt. Wie die Rinder einer Herde, so berichtet der Dich-
ter, von einer schwirrenden Bremse verfolgt, erschreckt
fliehen, und wie Scharen kleiner Vögel, von einem Geier ge-
jagt, sich nicht retten können und gefaßt werden, so werden
auch die Freier durch den Saal getrieben und getötet, so daß
der ganze Boden sich mit ihrem Blute füllt.
Dieser kurze Satz mit seinen beiden Gleichnissen, der keine
Zahl und keinen Namen der getöteten Freier nennt, ist nach
meiner Meinung ebenso ein späterer Zusatz, wie der oben als
eingefügt erwiesene Satz. Er soll dazu dienen, wenigstens ein
Wort zu sagen über den Tod der etwa 90 (!) später eingesetz-
ten Freier, über deren Ermordung das Epos sonst kein Wort
berichten würde. Seine Fassung hat mit der vorhergehenden
Art der Erzählung auch nicht die geringste Verwandtschaft.
Der alte Text setzt dagegen wieder ein mit Vers 310, der
uns über die Tötung des Freiers Leiodes (nach unserer Zäh-
lung Nr. 14) berichtet; dieser bittet den Odysseus um Gnade,
wird aber trotzdem von ihm getötet, weil er als Opferer dem
Treiben der übrigen Freier nicht entgegengetreten war. Der
Sänger Phemios (330) und der Herold Medon (357) finden
dagegen Gnade vor Odysseus, nachdem Telemach für sie bei
seinem Vater Fürbitte eingelegt hat. Schließlich erfahren wir
noch vom Dichter, daß Odysseus vergeblich im Palast nach
einem weiteren Freier sucht (381); alle sind getötet und be-
decken wie gefangene Fische den Boden.
Wenn wir den Sänger und den Herold nicht zu den Freiern
rechnen, was mir das Richtige zu sein scheint, weil beide auch
bei der Aufzählung der Freier durch Telemach (16,247—53)
 
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