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Dohme, Robert
Kunst und Künstler des Mittelalters und der Neuzeit: Biographien u. Charakteristiken (2,3): Kunst und Künstler Italiens bis um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts — Leipzig, 1879

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Jordan, Max: Tizian: geb. in Pieve di Cadore 1477, gest. in Venedig 1576
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https://doi.org/10.11588/diglit.36093#0318

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5o

TIZIAN.

find glücklicher Weife die zwei bedeutendften Portraits Karls: das aReiterbild im
Muleum zu Madrid«: (S. S. ßß) und dasjenige der Pinakothek zu München, welches ihn
htzend in ganzer Figur darftellt. Gewährt das letztere einen Blick in das Seelen-
leben des Monarchen, wie ihn nur der vollkommene künftlerilche Plycholog zu
geben vermag, fo zeigt ihn das andre in einem grolsen Momente feines Lebens.
Es ift das Blachfeld von Mühlberg, über welches der kailerliche Ritter dahin-
iprengt in der entlcheidungsvollften Stunde. Karl neigte durchaus nicht zur
Ruhmredigkeit, aber dafs er lieh von Tizian in diefer Situation malen liels, be-
zeugt, welche Bedeutung er jener damals vor Jahresfrift gelchlagenen Schlacht
beimafs. Auch fein behegter Gegner Kurfürft Johann Friedrich von Sachfen,
welchen Karl bei fich in Augsburg hatte, ift von Tizian portraitirt worden (Wien,
Belvedere), und es mufs als eine belondere Gunft der zerftörungslulbgen Zeit er-
kannt werden, dafs he uns die Möglichkeit liels, die mit gleicher Vollendung
ausgeführten Abbilder der beiden Feinde neben einander zu Tellen: dort den
Meifter politilcher Rechenkunft mit den bewegungslolen Zügen, — hier den voll-
blütigen Gehnnungsmenfchen, defien flrömendes Blut dereinft den Sieger er-
bleichen machte.
Noch einmal verweilte Tizian im Jahre ißßo beim Kaifer in Augsburg, der
zwar wieder von glänzendem Hofhaat und zahlreichen Valallen umgeben war,
aber jetzt fchon die Schicklaiswendung vorempfand, die fo bald folgen lollte.
Schwermuth hatte ihn ergriffen, leine Gedanken hingen dem Tode nach und er
wollte deshalb von Tizian in der Erwartung des Weltgerichts gemalt fein. Aus
diefer Veranlaffung ift das im Jahre iß54 vollendete Gemälde des Madrider
Muleums entftanden, welches gemeinhin als Mie Dreieinigkeit Karls V.« bezeichnet
wurde, eine ganz ungewöhnlich extatilche Compohtion, die dem Murillo Ehre
gemacht hätte. Im hochften Himmelskreile fitzen die beiden erften Perfonen der
Trinität, umgeben von lichtbeftrahlten Cherubim und Seraphim; etwas tiefer in
den Wolken fteht die Jungfrau und legt Fürbitte ein für die Sünder, an deren
Spitze Kaifer Karl im Sterbehemd und mit abgelegter Krone inbrünftig betend
kniet, hinter ihm die Kaiferin, Königin Maria von Ungarn, Don Philipp und Fer-
dinand. An diele Gruppe reihen lieh die Reprälentanten des alten Teftaments:
Mofes, Noah, Hiob, Judith oder eine Sibylle, iowie die Schaar der Propheten,
lammtlich in lebhaften Bewegungen fchwebend. Das Motiv dieles anlcheinend
um den Lichtkern der Dreifaltigkeit röhrenden Reigens erinnert io fehr an DtireFs
Allerheiligen-Bild, dafs die Kenntnifs deffelben bei Tizian vermuthet werden kann.
Karl nahm das Gemälde nach feiner Abdankung mit mehreren anderen Werken
Tizian's in die Einlamkeit des fpanilchen Klofters mit und ift im Anblick des-
felben geftorben.
Von biblilchen Darftellungen aus der Ipäteren Periode des Meifters ift noch
das um iß4ß vollendete Bild xChriftus inEmmaus« nachzutragen, welches, ehemals
Eigenthum der Markus-Republik, jetzt im Louvre hängt. Hält Tizian hier in der
Auffaflung des Vorganges eine anlprechende Mitte zwilchen Ernft und Gemüthlich-
keit -— Chriftus erlcheint in heiterer Majeftät, die Jünger andächtig bewegt, aber
Koch und Kellner lind ebenlo wenig vergeffen wie das Behagen der lignorilen
Wohnung —, 1b giebt er in dem auf Schiefer gemalten »Ecce homo« und in der
RAddolorata« zu Madrid, welche ehedem zu einem Klappaltar verbunden waren,
den Eindruck tieffter Melancholie, in dem herrlichen ^Johannes Baptista« der
 
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