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ANTONIO CANOVA.
"Tugend« und der "Caritas« auftreten, hat an hch mit den Begriffen, die he ver-
körpern fehlen, nichts zu thun; der Affekt, den he ausdrücken, dient nur dazu,
ihre allegorifche Bedeutung zu verdunkeln, er giebt ihnen den Anfchein von
Individuen, die he nicht hnd und nicht fein follen. So hat weder der Ausdruck
des Affekts, noch der Charakter der allegorifchen Figuren eine hchere Wirkung,
und der magere Sinn, den die Rehexion aus der Darhellung zieht, vermag für
diefen Mangel nicht zu entfehädigen.
Im Einzelnen hat das Denkmal manches Schöne; einige Figuren, namentlich
die jugendlichen Begleiterinnen der allegorifchen Hauptfigur, gehören zu den
anmuthighen Gehalten des Künhlers, und die weiche elegifche Empfindung, die
hch in dem Ganzen der Kompohtion ausfpricht und gleichfalls an das Malerifche
anklingt, erweckt die Sympathie des Betrachters.
Im Jahre 1805, in welchem das Denkmal vollendet war, reihe Canova nach
Wien, um die Aufhellung deffelben zu leiten und die letzten Retouchen an dem
Werke am Orte der Aufhellung unter Berückhchtigung der räumlichen Bedingungen
vorzunehmen. Auf der Rückkehr verweilte er einige Zeit in Florenz, wo er
einen neuen bedeutenden Auftrag erhielt.
Mit den übrigen berühmten Antiken Italiens hatte auch die mediceifche
Venus, die zu den gepriefenhen Behtzthümern des Florentiner Mufeums gehörte,
nach Frankreich wandern mühen. Jetzt follte Canova, der die Römer mit feinem
Perfeus über den Verluh des Apollo getröhet hatte, auch für die geraubte Venus
Erfatz fchahen. Die Regierung in Florenz wünfehte von ihm eine Kopie der
Statue; aber das blofse Kopiren war nicht feine Sache, er fchuf eine neue Venus,
die wenige Jahre fpäter auf dem verwaihen Picdehal der mediceifchen aufgehellt
wurde. Sie hat zur letzteren ein ähnliches Verhältnifs, wie der Perfeus zum
vatikanifchen Apoll; Canova unternahm auch in ihr einen direkten Wettkampf
mit der Antike, der jedoch kaum glücklicher ausfiel, als jener erhe. Die medi-
ceifche Venus, entbanden in der Spätzeit der hellenifchen Plahik, ih nicht mehr
die Göttin, welche die Griechen früher in ihren Aphroditegehalten bildeten,
nicht grofs und hoheitvoll, wie diefe, fondern ein GefchÖpf von reizender hnn-
licher Anmuth. Auch Canova's Venus will nichts Anderes fein; aber, obfehon
der mediceifchen ähnlich, ih he ihr doch wenig verwandt, ihre Haltung ih fah
diefelbe und macht doch einen anderen Eindruck. Jene hat etwas Mädchen-
haftes in ihrer ganzen Erfcheinung und ih in der Geberde, wie im Lächeln
des Mundes, in dem vypoy des Auges, dem verlangenden Blick, nicht ohne den
Zauber einer natürlichen Anmuth, während ihre moderne Rivalin ein frauenhaftes
Anfehn hat und in Stellung und Ausdruck ziemlich kokett erfcheint. Behim-
mend für den Eindruck der letzteren ih auch der Umhand, dafs durch das Ge-
wand, mit dem he den Schoofs verhüllt, ausdrücklich an den Vorgang des Badens
erinnert wird. Wie bei den meihen weiblichen Gehalten Canova's, hat auch bei
diefer die Haarbehandlung etwas Ueberzierliches, das den Eindruck des Ge-
fuchten und Abhchtlichen in der ganzen Erfcheinung noch verhärkt. Die
nackten Formen hnd äufserh delicat behandelt, doch fällt ihre vielgepriefene
"Morbidezza« einigermaalsen ins Weichliche, während bei der mediceifchen Venus
gerade die feine Verbindung von Weichheit und Fettigkeit, das zart Elahifche
ANTONIO CANOVA.
"Tugend« und der "Caritas« auftreten, hat an hch mit den Begriffen, die he ver-
körpern fehlen, nichts zu thun; der Affekt, den he ausdrücken, dient nur dazu,
ihre allegorifche Bedeutung zu verdunkeln, er giebt ihnen den Anfchein von
Individuen, die he nicht hnd und nicht fein follen. So hat weder der Ausdruck
des Affekts, noch der Charakter der allegorifchen Figuren eine hchere Wirkung,
und der magere Sinn, den die Rehexion aus der Darhellung zieht, vermag für
diefen Mangel nicht zu entfehädigen.
Im Einzelnen hat das Denkmal manches Schöne; einige Figuren, namentlich
die jugendlichen Begleiterinnen der allegorifchen Hauptfigur, gehören zu den
anmuthighen Gehalten des Künhlers, und die weiche elegifche Empfindung, die
hch in dem Ganzen der Kompohtion ausfpricht und gleichfalls an das Malerifche
anklingt, erweckt die Sympathie des Betrachters.
Im Jahre 1805, in welchem das Denkmal vollendet war, reihe Canova nach
Wien, um die Aufhellung deffelben zu leiten und die letzten Retouchen an dem
Werke am Orte der Aufhellung unter Berückhchtigung der räumlichen Bedingungen
vorzunehmen. Auf der Rückkehr verweilte er einige Zeit in Florenz, wo er
einen neuen bedeutenden Auftrag erhielt.
Mit den übrigen berühmten Antiken Italiens hatte auch die mediceifche
Venus, die zu den gepriefenhen Behtzthümern des Florentiner Mufeums gehörte,
nach Frankreich wandern mühen. Jetzt follte Canova, der die Römer mit feinem
Perfeus über den Verluh des Apollo getröhet hatte, auch für die geraubte Venus
Erfatz fchahen. Die Regierung in Florenz wünfehte von ihm eine Kopie der
Statue; aber das blofse Kopiren war nicht feine Sache, er fchuf eine neue Venus,
die wenige Jahre fpäter auf dem verwaihen Picdehal der mediceifchen aufgehellt
wurde. Sie hat zur letzteren ein ähnliches Verhältnifs, wie der Perfeus zum
vatikanifchen Apoll; Canova unternahm auch in ihr einen direkten Wettkampf
mit der Antike, der jedoch kaum glücklicher ausfiel, als jener erhe. Die medi-
ceifche Venus, entbanden in der Spätzeit der hellenifchen Plahik, ih nicht mehr
die Göttin, welche die Griechen früher in ihren Aphroditegehalten bildeten,
nicht grofs und hoheitvoll, wie diefe, fondern ein GefchÖpf von reizender hnn-
licher Anmuth. Auch Canova's Venus will nichts Anderes fein; aber, obfehon
der mediceifchen ähnlich, ih he ihr doch wenig verwandt, ihre Haltung ih fah
diefelbe und macht doch einen anderen Eindruck. Jene hat etwas Mädchen-
haftes in ihrer ganzen Erfcheinung und ih in der Geberde, wie im Lächeln
des Mundes, in dem vypoy des Auges, dem verlangenden Blick, nicht ohne den
Zauber einer natürlichen Anmuth, während ihre moderne Rivalin ein frauenhaftes
Anfehn hat und in Stellung und Ausdruck ziemlich kokett erfcheint. Behim-
mend für den Eindruck der letzteren ih auch der Umhand, dafs durch das Ge-
wand, mit dem he den Schoofs verhüllt, ausdrücklich an den Vorgang des Badens
erinnert wird. Wie bei den meihen weiblichen Gehalten Canova's, hat auch bei
diefer die Haarbehandlung etwas Ueberzierliches, das den Eindruck des Ge-
fuchten und Abhchtlichen in der ganzen Erfcheinung noch verhärkt. Die
nackten Formen hnd äufserh delicat behandelt, doch fällt ihre vielgepriefene
"Morbidezza« einigermaalsen ins Weichliche, während bei der mediceifchen Venus
gerade die feine Verbindung von Weichheit und Fettigkeit, das zart Elahifche