DER TANZ IN DER ERZIEHUNG
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dagegen zu erheben, dass Mädchen und Knaben unter
sich — ja die Kleinen selbst, wenn sie zusammen üben
— nach dem Vorbilde der Amerikanerin nur in leichten
losen Gewändern, barfuss oder auch in Sandalen, tanzen?
Von den beengenden Kleidern befreit, werden sie den
Körper freier und leichter bewegen und die Freude an
dieser Bewegung stärker empfinden; da alle Bewegungen
an den Körpern vollkommen sichtbar werden, sehen sie
sich veranlasst, sie aufs beste auszuführen, und bald ge-
winnt das Auge Verständnis für die Schönheit des leben-
digen Spieles der Muskeln, Glieder, Linien. Eine reinere,
unschuldigere, sittlichere Auffassung vom menschlichen
Körper bildet sich; und wenn diese Mädchen und Knaben
auf einer späteren Stufe der Erziehung die Werke der
Bildhauer und Maler kennen lernen, dann sind sie ihnen
nicht mehr etwas Befremdendes und Überraschendes,
sondern sie bringen ein natürliches Verständnis für sie
mit, weil sie diese Bewegungen und Gebärden zum guten
Teil bereits im Leben kennen und sich daran freuen ge-
lernt haben. Sind dann diese Mädchen zu Jungfrauen
erblüht, so werden sie ausdrucksvollere und schönere
Tänze auszubilden wissen, als die heutigen sind, und die
Jünglinge, die den Adel des Tanzes zu würdigen gelernt
haben, werden vielleicht den heute abgestorbenen Männer-
tanz neu beleben.
Und in Wahrheit: welches Volk wäre befugter und ge-
eigneter, den Rhythmus der Töne in den Rhythmus des
Körpers zu übersetzen, als eben die Deutschen, die die Welt
mit den Gaben ihrer Musik verschwenderisch überschüttet,
ja man kann sagen, ihr die Kunst der Töne neu geschenkt
haben? Wenn wir den Schöpfungen von Bach, Gluck,
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dagegen zu erheben, dass Mädchen und Knaben unter
sich — ja die Kleinen selbst, wenn sie zusammen üben
— nach dem Vorbilde der Amerikanerin nur in leichten
losen Gewändern, barfuss oder auch in Sandalen, tanzen?
Von den beengenden Kleidern befreit, werden sie den
Körper freier und leichter bewegen und die Freude an
dieser Bewegung stärker empfinden; da alle Bewegungen
an den Körpern vollkommen sichtbar werden, sehen sie
sich veranlasst, sie aufs beste auszuführen, und bald ge-
winnt das Auge Verständnis für die Schönheit des leben-
digen Spieles der Muskeln, Glieder, Linien. Eine reinere,
unschuldigere, sittlichere Auffassung vom menschlichen
Körper bildet sich; und wenn diese Mädchen und Knaben
auf einer späteren Stufe der Erziehung die Werke der
Bildhauer und Maler kennen lernen, dann sind sie ihnen
nicht mehr etwas Befremdendes und Überraschendes,
sondern sie bringen ein natürliches Verständnis für sie
mit, weil sie diese Bewegungen und Gebärden zum guten
Teil bereits im Leben kennen und sich daran freuen ge-
lernt haben. Sind dann diese Mädchen zu Jungfrauen
erblüht, so werden sie ausdrucksvollere und schönere
Tänze auszubilden wissen, als die heutigen sind, und die
Jünglinge, die den Adel des Tanzes zu würdigen gelernt
haben, werden vielleicht den heute abgestorbenen Männer-
tanz neu beleben.
Und in Wahrheit: welches Volk wäre befugter und ge-
eigneter, den Rhythmus der Töne in den Rhythmus des
Körpers zu übersetzen, als eben die Deutschen, die die Welt
mit den Gaben ihrer Musik verschwenderisch überschüttet,
ja man kann sagen, ihr die Kunst der Töne neu geschenkt
haben? Wenn wir den Schöpfungen von Bach, Gluck,
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