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Dresdner, Albert; Gaede, Richard
Neues Leben im altsprachlichen Unterricht: 3 Preisarbeiten — Berlin, 1918

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https://doi.org/10.11588/diglit.43344#0039
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Der Erlebniswert des Altertums und das Gymnasium. 31

•und bei jedem Autor muß er sich neu orientieren, ihm
neue Angriffspunkte, neue Erlebnismöglichkeiten abgewinnen.
Aus diesem G-runde wird es, wie ich hoffe, zu rechtfertigen
sein, wenn ich nach diesen kurzen allgemeinen Bemerkungen
dazu übergehe, eine Reihe von einzelnen Aufgaben und
Beispielen des praktischen Schulbetriebes zu besprechen,
um an ihnen meine Meinung klarzulegen. Wenn die ein-
zelnen G-lieder dieser Betrachtung etwa nur lose miteinander
zusammenzuhängen scheinen, so entspricht das der eben
angedeuteten Lagerung der Verhältnisse in der Praxis des
Unterrichtes.
Ich beginne gleich mit einem der umstrittensten Pro-
bleme, mit Cicero. Der deutsche Junge, dem Cicero nicht
von Hause aus Unbehagen, ja selbst Abneigung einflößte,
würde mir — gesteh ich’s offen — Bedenken erregen.
Ciceros Rhetorik, sein Schwelgen im Formalen, sein advoka-
tischer Geist: das alles sind Züge, die deutschem Wesen
natürlich widerstreben, und die überall durchblickenden
Schwächen seines Charakters, seine Halbheit, seine Unent-
schlossenheit und Eitelkeit müssen gerade von einer ge-
sunden Jugend, die stets das Ganze und Ideale fordert und
nicht zu milde ab wägenden Konzessionen geneigt zu sein
pflegt, peinlich empfunden werden. Soll man ihr dies
Empfinden bestreiten und verunklären? Soll man ihr einen
unberechtigt idealisierten Cicero aufdrängen? Im Gegenteil.
Geschichte und Leben sind reich an solchen Persönlich-
keiten; es hat immer Ciceros gegeben, und es gibt noch
heute welche, und so mag die Schule den Römer dazu be-
nutzen, um den Schülern diesen Typus des Menschen und
Politikers, mit dessen Gesinnungsverwandten sie besonders
in ihrem staatsbürgerlichen Leben sich vielleicht noch manch-
mal auseinanderzusetzen haben werden, durchsichtig zu.
machen. Gerade an der Erkenntnis solcher halber Persönlich-
keiten schärft sich zugleich der Blick der Jugend für Wesen
und Wert der wahrhaft großen Männer, und sie zur
Würdigung uud Verehrung des Großen und Echten an-
 
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